Altenglische dichtungen des ms. Harl, 2253.
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- Title
- Altenglische dichtungen des ms. Harl, 2253.
- Author
- Boeddeker, Karl, ed. 1846-
- Publication
- Berlin,: Weidmann,
- 1878.
- Rights/Permissions
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- Subject terms
- English language -- Grammar
- English poetry
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"Altenglische dichtungen des ms. Harl, 2253." In the digital collection Corpus of Middle English Prose and Verse. https://name.umdl.umich.edu/AFY7793.0001.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed June 5, 2024.
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POLITISCHE LIEDER.
I. Spottgesang auf Richard von Cornwallis.
Heinrich III., 1216-1272, hatte während der ganzen Dauer seiner Regierung einen schweren Stand den Baronen gegenüber, welche nicht nur ihre eigenen Privilegien, sondern auch die Sache des unter den drückendsten Steuerlasten seufzenden Volkes mit dem Ernst der Waffen vertraten. An der Spitze der antidynastischen Partei stand Simon von Monfort, Graf von Leicester, der Schwager des Königs — & þe kinges soster þe contesse | Sir Simondes wif was. Rob. of Gloucester. — Er war der Sohn des Grafen von Monfort-Amaury, des Siegers bei Muret im Albigenserkriege, 1213. Auf der Seite des Königs standen, wenigstens zur Zeit der Schlacht bei Lewes, die Königin, die Brüder des Königs, unter welchen auch Richard von Cornwallis, der im Jahre 1258 mit Hülfe ungeheurer Bestechungen zum Könige von Deutschland gewählt worden war, der Prinz Eduard, nachmals Eduard I., und endlich ein Theil der Barone.
Auf Betreiben der Königin und der Brüder des Königs waren viele Franzosen an den englischen Hof gezogen und in einträgliche und einflussreiche Aemter eingesetzt worden; auch die Garnisonen in einigen festen Plätzen, wie in dem stark befestigten Schloss Windsor, bestanden aus Franzosen.
& þoru þe quene. was so muche frenss folc ibrouȝt. þat of englisse men. me tolde as riȝt nouȝt.
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& þe king hom let hor wille. þat ech was as king. & nome poueremenne god. & paiede no þing. To eni of þis breþeren. ȝuf þer pleined eni wiȝt. Hii sede ȝuf we doþ ou wrong. wo ssal ou do riȝt. As wo seiþ: we beþ kinges. ur wille we mowe do. & manie englisse alas. hulde mid hom al so. — R. of G.
Dieser Umstand wird von R. of G. für die Quelle alles Unheils gehalten, welches zur Zeit Heinrichs III. England traf. Auf Grund einer Beschwerde der Barone wegen dieser Missstände kam im Jahre 1258 der Vertrag (purueance) von Oxford zu Stande. Die Aus|weisung der Franzosen für alle Zeiten, das Versprechen "to graunti gode lawes", die Bestätigung der "olde chartre" (magna charta) waren die Hauptpunkte dieses Vertrages, welcher unter dem herge|brachten kirchlichen Ceremoniell von allen Anwesenden auf's feier|lichste beschworen wurde. Unter diesen befand sich auch Richard von Cornwallis, und das ist der Grund, weshalb er in unsrem Gedichte als Verräther (trichard) gebrandmarkt wird. Das Haupt der Barone war schon zu dieser Zeit Simon von Monfort. — Der Prinz Eduard, welcher nach Abschluss der Oxforder Stipulationen mit seinem Begleiter "Sir Warin of Bassingbourne" in Frankreich umherreiste, ritterlichen Uebungen obliegend, stand nach R. of G. anfangs fest auf dem Standpunkte, den der von ihm unterzeichnete Vertrag ihm vorschrieb. Man darf vielleicht aus der Wahl seines Begleiters, der zur damaligen Zeit noch der Partei der Barone an|gehörte, schliessen, dass er den Bestrebungen dieser Partei nicht abgeneigt war. Den fortgesetzten Bemühungen der Königin, seiner Mutter, gelang es endlich, ihn für die Nichtigkeitserklärung des Oxforder Vertrages umzustimmen. Unser Lied, welches allen Geifer auf Richard von Cornwallis wirft, schreibt dessen Einfluss den Um|schwung in der Gesinnung der Prinzen zu (v. 50 u. 51). — Auch in anderer Beziehung ist es gegen Richard nicht ganz gerecht. So hatte dieser nicht die Summe von 30,000 £. gefordert, sie war ihm vielmehr von den Baronen angeboten worden, damit er den Frieden zwischen ihnen und dem Könige auf einer billigen Grundlage vermittle. — So rüsteten denn nun zu gleicher Zeit der König, Prinz Eduard und Richard von Cornwallis gegen die Barone. Die persönliche Tüchtigkeit des Prinzen veranlasste mehrere Barone, unter diesen
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auch Sir Warin of Bassingbourne, in das königliche Lager über|zutreten, als bereits die Feindseligkeiten begonnen hatten.
Nach dem Wechselgeschick eines wüthenden Bürgerkrieges kam es endlich am 14. Mai 1264 zur Schlacht bei Lewes, in welcher die Partei des Königs eine gänzliche Niederlage erlitt. Der Prinz Eduard verrichtete Wunder der Tapferkeit und fand selbst bei seinen Gegnern, zu denen auch R. of G. gehört, Anerkennung. Der König von Deutschland floh in eine Windmühle, wurde daselbst bis zum Abend belagert — hierauf hat v. 22 Bezug — und musste sich dann ergeben. Prinz Eduard entwich mit seiner Begleitschaft in die Stadt Lewes und wurde dort gefangen genommen. Beide wurden zunächst in Schloss Walingford, welches Richard von Cornwallis gehörte (vergl. v. 10.), in Gewahrsam gehalten; nach einem ver|eitelten Versuche zu ihrer Befreiung, welchen die Königin veranlasst hatte, brachte man nach R. of G. beide, und mit ihnen Heinrich, den Sohn Richards, der grössern Sicherheit wegen im Schlosse Keningeswurþ (in Warwick) unter. — Was die in v. 9 ange|deutete Sittenlosigkeit des deutschen Königs betrifft, so wissen andere Zeitberichte von der Unsittlichkeit zu reden, welche das ganze königliche Lager beherrscht habe. —
Die letzte Strophe veranlasst zu dem Schlusse, dass man, wenigstens im Volke, an eine Landesverweisung Eduards gedacht hat.
Percy weist auf einen Umstand hin, aus dem sich das Datum der Abfassung annähernd bestimmen lässt. Der Graf von Warin und Sir Hugh Bigot waren nach der Schlacht bei Lewes nach Frankreich entflohen, v. 27 u. 28. Nach v. 40 befinden sich die|selben noch im Auslande. Sie kehrten aber im Jahre 1265 schon nach England zurück; vor ihrer Rückkehr muss das Gedicht bereits entstanden sein. — Eine fernere Angabe der Gedichts, die für die Bestimmung der Zeit seiner Entstehung einen Anhalt bietet, hat auch Percy übersehen: Der Graf von Warin und Sir Hugh Bigot sollen nach v. 41 den zwölfmonatlichen Schoss zahlen; sie sollen büssen für das, was sie seit zwölf Monaten gefrevelt haben, natürlich gegen die Sache der Patrioten. Ihr Uebertritt in das Lager des Königs fand spätestens im Winter von 1263 auf 1264 statt, das Gedicht entstand also spätestens im Winter 1264 auf 1265. —
Der Verfasser dieses Liedes war kein Gelehrter, sondern ein
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Spielmann aus dem Volke; Sprache, Vers, Strophenbau und Behand|lung des Stoffes weisen darauf hin: Der Dichter sucht in Wort und Bild den Ton des gemeinen Mannes zu treffen. — Der Vers ist eine unkünstlerische Version des epischen Verses, den wir reiner und kunstgerechter in den folgenden Liedern antressen. Der Dichter, der für die Menge des Volkes dichtete, war zufrieden, wenn sein Vers sich leidlich der vielleicht bekannten Sangweise anschmiegte, in der er es vortrug und in der das Volk es ihm nachsingen sollte. — Die Strophe ist vierzeilig einreimig, wie in mehreren der nachfolgenden Lieder, und schliesst auf einen Refrain. Der Charakter des letzteren ist rein lyrisch. — Während der Kleriker mit würdiger Ruhe und sittlichem Ernste seinen Stoff behandelt, giebt der Spielmann durch derben Witz und lachenden Hohn seinem Gesange ein drastisches, volksthümliches Gepräge.
Der Dialekt des Liedes ist der des Südens. Vgl. die Bemer|kung über den Dialekt des folgenden Liedes (P. L. II.).
Bisherige Redaktionen dieses Liedes: Percy, Reliques of Ancient English Poetry, vol. II. pag. 1 (Tauchnitz Edition); Ritson, Ancient Songs, vol. I., pag. 12; Th. Wright, Political Songs of England, pag. 69; Mätzner, Altengl. Sprachproben, Theil I., pag. 152.
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II. Klage des Landmanns.
Ueber die Höhe der Abgaben an die Krone musste mit den|jenigen Ständen, welche nicht im "Great Conncil" vertreten waren, durch königliche Emissäre jährlich einzeln unterhandelt werden. Mit den freien Landständen eines Shires (knights of the shire, yeomen, freeholders) fand diese Verhandlung unter der denkwürdigen alten Eiche statt, unter der schon das "witenâ gemôt" der Angelsachsen getagt hatte; dorthin berief der Sheriff die freien Grundbesitzer. Da die bewilligten Gelder häufig die Ausgaben der Krone nicht deckten, so sah sich diese genöthigt, immer wieder zu den "free aids" ihre Zuflucht zu nehmen. Das Eintreiben dieser "freien Aus|hülfen"
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war für die Beamten der Schatzkammer eine mühsame Arbeit.
Eine besondere Bitterkeit riefen die "free aids" in den Jahren hervor, welche dem Feldzuge Eduards I. in Flandern, 1297, voran|gingen. Der König bedurfte für die Vorbereitungen zu demselben bedeutender Geldmittel. Von der Geistlichkeit verlangte die Krone die Hälste des jährlichen Einkommens, und da sie sich widersetzte, wurde der ganze Stand für geächtet erklärt. Mit derselben Härte verfuhr man auch gegen die Landstände. Die Höhe der königlichen Forderung wurde mitgetheilt, und jeder, der eine Weigerung ver|nehmen liess, wurde des Schutzes der Gesetze beraubt. Auch Kon|tributionen an Korn und Vieh wurden in grossem Massstabe ein|getrieben. Die königlichen Gerichtshöfe wurden geschlossen, und so konnte gegen die Ungerechtigkeiten und Erpressungen der Beamten auch der Rechtsweg nicht betreten werden. — In diese Zeit werden wir die Entstehung des nachfolgenden Liedes zu versetzen haben.
Die Sprache, in der sich dieses Lied bewegt, unterscheidet sich vortheilhaft von der des vorigen Liedes durch würdigere Ruhe und Gemessenheit. Hat der Verfasser somit die Schranken des Wohl|anstandes nirgends überschritten, so hat er gleichwohl der ernsten sittlichen Entrüstung über die herrschenden Zustände, der tiefen Bitterkeit, die seine Seele erfüllt, kräftig redende Worte geliehen. Er war augenscheinlich des guten Tones wie des treffenden Wortes gleich mächtig. —
Der epische Vers hat in dem folgenden Liede durch die Bei|behaltung der Alliteration ein ursprünglicheres und zugleich kunst|gemässeres Gepräge, als in dem vorangehenden. Dass der Vers sich hier und da auf die vier alliterirenden Hebungen beschränkt, kann nicht Wunder nehmen; er enthielt die Anregung hierzu in sich selbst (vgl. Einl. zu P. L. VIII). — Auch dieser viermal ge|hobene Vers lässt übrigens die Unregelmässigkeiten erkennen, die wir sonst an ihm wahrnehmen.
Die Dichtung zeigt einen künstlerischen Aufbau. Die längere, achtversige Strophe bildet jedesmal den Aufgesang für die folgende kürzere Strophe, die als der Abgesang für die erstere zu betrachten ist. Auch an einem Bindegliede fehlt es nicht: der Schlussvers des Aufgesanges ist mit dem ersten Verse des Abgesanges durch den
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Stabreim verknüpft. Während die längere Strophe die Schilderung weiterführt, greift der Abgesang auf die Gedanken derselben resumirend zurück. Der ganze Groll eines zorn- und gramerfüllten Herzens bricht hier mit Macht hervor, weshalb auch der Ton in der Regel im Abgesange ein lebhafterer ist.
Dass der Verfasser des Liedes nicht selbst ein Landmann ist, erhellt aus den einleitenden Versen der Dichtung. Ohne Zweifel gehört er zu der Klasse der fahrenden Scholaren. Lied eines Spiel|manns kann diese Dichtung schon deshalb nicht sein, weil ihre Form eine zu künstlerische, zu wenig einfache ist. Ausserdem sind die Spielmannslieder immer mehr oder weniger lyrisch angehaucht.
Der Dialekt ist südländisch. In "ar" (= their) finden wir eine Form des lautlich dem Dialekte der übrigen Landschaften im Süden der Themse nahe verwandten kentischen Idioms. Diese Form zeigt sich nur in zwei Liedern, dem nachstehenden und dem voran|gehenden (hare). Vielleicht dürfen wir annehmen, dass die Heimath dieser Lieder die Landschaft Kent berührte. Sussex, der Schauplatz des Hauptereignisses des vorigen Liedes, grenzt an Kent.
In den Pol. Songs von Th. Wright sindet sich das Lied auf pag. 149.
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III. Luxus der Weiber.
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hatte sich die Sitte ausserordentlich luxuriöser Kleidung in England eingebürgert. Nicht nur die höheren Stände zeichneten sich durch Verschwendung in dieser Richtung aus, auch bei den Bürgern und selbst in den nie|deren Ständen des Volkes hatte die Unsitte der Zeit Eingang gefun|den. Die Geistlichkeit schleuderte die heftigsten Invectiven gegen diese phantastischen Ausschweifungen. Vgl. Hallam, State of so|ciety in Europe during the middle-ages.
Vers und Strophe erinnern an das erste Lied, nur dass beide bedeutend kunstgemässere Anlage und sorgfältigere Ausführung zei|gen. — Der Stabreim muss nicht nothwendig in beiden Vershälften derselbe sein, er kann bisweilen ganz fehlen (wie im vorangehenden Liede).
Eine tiefe sittliche Entrüstung ist die Grundstimmung dieses Liedes. Selbst einzelne anstössig derbe Ausdrücke und Bilder kön|nen uns nicht abhalten, dem Liede einen Kleriker zum Verfasser zu geben: Ein Spielmann aus dem Volke kann die Eingangsstrophe nicht gedichtet haben; er würde einen durchgehend humoristischen Ton angeschlagen haben. — Auch die Gewandtheit der Sprache, die Klangfülle und die grössere Regelmässigkeit in der Ausführung
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des Verses und der Strophe weisen auf den geschulten Mann, den Kleriker, hin. —
Der Dialekt ist südländisch.
In den Pol. Songs von Th. Wright ist das Lied auf pag. 153 zu finden.
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IV. Klage über das Verfahren der geistlichen Gerichtshöfe.
In dem Zeitraume von 1221-1226 hatten sich die Franziska|ner und Dominikaner in England niedergelassen. Die Inhaber der geistlichen Stellen und die Mönche der reichen Klöster erfüllte ihr Kommen mit grossem Aerger, während sie ihrerseits diese als Schlemmer mit Verachtung straften. Sie wollten das unter dem Formenwesen des damaligen Gottesdienstes erstarrte kirchliche Inter|esse neu beleben und ihre Wirksamkeit nach Kräften auf alle socia|len
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Schäden des Volkes ausdehnen. Auf den Strassen und Markt|plätzen reichten sie dem Volke die geistliche Speise dar. Ihr Vor|trag war volksthümlich und anregend, nicht selten mit kräftigen Witzen gesalzen. Um mitten unter dem Volke zu sein und um so eingreifender nach allen Richtungen hin wirken zu können, liessen sie sich in den clendesten Stadtvierteln nieder. Nicht nur die He|bung der sittlichen Zustände lag ihnen am Herzen, auch den Be|drückungen und Ungerechtigkeiten, unter denen der gemeine Mann zu seufzen hatte, wirkten sie kräftig entgegen. — Wenn sie keine Bedenken trugen, auch gegen die übrige Geistlichkeit als Wider|sacher aufzutreten, so erklärt sich das aus dem Obigen hinreichend. Eine auf zuverlässige Quellen gestützte Schilderung dieser Zustände findet sich bei J. R. Green, A short history of the English people. — Wenn wir beobachten, dass seit der Mitte des 13. Jahrhunderts der fahrende Kleriker nicht mehr, wie früher, ausschliesslich der Erotik und den religiösen Empfindungen seine Lieder widmet, dass er von jetzt ab auch in den Dienst der nationalen Interessen tritt, wie das Volk sie auffasste, dass er den nationalen Errungenschaften den patriotischen Gefühlen, den socialen Leiden in volksthümlich derbem Tone poetischen Ausdruck giebt, so dürfte diese Erschei|nung mit der neuen Lebensregung, welche auf religiösem, politi|schem und socialem Gebiete durch die Thätigkeit der Bettelmönche hervorgerufen worden war, in innigster Beziehung stehen.
Die Strophe des nachfolgenden Liedes, in welchem wieder ein fahrender Kleriker seiner Entrüstung über einen Schaden der Zeit Luft macht, ist kunstvoll aufgebaut. Der zwölfzeilige Aufgesang ist vierfach regelmässig gegliedert und durch die Reimverknüpfung der kurzen Schlusszeilen der einzelnen Glieder zu einem fest ge|schlossenen Ganzen gestaltet. Der Abgesang, der in Folge der Reim|verbindung der umschliessenden Verse 1, 2 und 6 ebenfalls zu einem Ganzen abgerundet erscheint, ist durch den Stabreim mit seinem Aufgesange verknüpft. Die Langzeile führt uns wieder den bekann|ten epischen Vers vor, die Kurzzeile entspricht der Hälfte desselben, der Schlussvers enthält nur zwei Hebungen. — Der Versbau ist im ganzen regelmässig, die Alliteration sorgfältig. Einzelne Unregel|mässigkeiten sind in den episch-lyrischen Liedern der Kleriker nie vermieden. — Die Schilderung ist lebhaft und anschaulich, die
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Sprache lässt den des Wortes und des Verses kundigen geschulten Dichter erkennen, der den Ton des Volkes geschickt zu treffen weiss. Die Stimmung des Liedes entspricht der, welche die beiden voran|gehenden Lieder durchwehte.
Neben den Formen des südländischen Dialektes, welche die Regel bilden, zeigen sich auch mittelländische Formen (z. B. sayen) und nordhumbrische (biledes u. s. w.); ferner ist die Abwesenheit von Verbalformen mit dem Präfixe y (i) auffällig. Vielleicht haben wir die Heimath dieses Liedes an der Grenze des nordhumbrischen und ostmittelländischen Dialektes zu suchen. Die Handschrift würde uns die Uebertragung des Originals in den südlichen Dialekt vorführen.
Wright, Pol. Songs, pag. 155.
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V. Aufstand der Flandrer unter Peter Coning.
Das Interesse des kräftigen, selbstbewussten Bürgerthums der Zeit Eduards I. an den in nachfolgendem Gedichte berührten Vor|gängen in Flandern begreift sich leicht. Zwei Umstände aber machten die Sympathie mit den tapferen Bürgern von Brügge in England ganz besonders volksthümlich: die Engländer waren anfänglich Waffen|genossen
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der Flandrer im Kampfe mit Philipp IV. (dem Schönen) von Frankreich gewesen; sie standen ferner mit denselben in leb|haftem Handelsverkehr, der von Seiten Englands als bedeutender, gewinnreicher Exporthandel betrieben wurde, besonders mit Wolle.
Graf Veit von Flandern hatte sich Eduard I. zur Bekämpfung der Eroberungspolitik Philipps IV. angeschlossen, die vereinigten Heere hatten bei Comines (1297) eine Niederlage erfahren. Da Eduard durch die Unruhen in Schottland dringend zur Rückkehr nach England gemahnt wurde, so war man einen zweijährigen Waffenstillstand eingegangen, der sich für die Engländer bald in einen definitiven Frieden verwandelte. Mit Flandern dagegen wurde nach Ablauf der zwei Jahre unter der Führung von Karl von Valois, dem Bruder Philipps IV., der Kampf wieder aufgenommen, Graf Veit gerieth mit seinen beiden ältesten Söhnen in Gefangenschaft (vgl. v. 131 des nachfolgenden Liedes), und Philipp nahm die Grafschaft als anheimgefallenes Land in Besitz. Da er bei dieser Gelegenheit den Städten ihre alten Rechte und Freiheiten bestätigte, so leisteten sie keinen Widerstand. Als aber Jaques de Saint-Paul (auch Pol), der Statthalter von Flandern, eine Verschmelzung dieser Provinz mit Frankreich anbahnen wollte, als er zu diesem Zwecke die Nieder|lassung französischer Familien in Flandern mit Eifer betrieb und widerrechtliche Abgaben auferlegte (v. 9), die sogenannten mal-toutes (siehe Chronique de Saint-Denis Chap. XLII, veröffentlicht von Michaud und Poujoulat in den Mémoires pour servir à l'histoire de France daselbst I, pag. 179), da regte sich der Unwille des Volkes. Die Aristokratie und die Magistrate ergriffen für die Franzosen Partei, die Zünfte der Handwerker traten für die alten Rechte, und nun zugleich für das angestammte Herrscherhaus in die Schranken. An der Spitze der Volkspartei in Brügge stand Peter Coning, der Vorsteher der Wollweberzunft (v. 19). In einer im Rathhause ab|gehaltenen Volksversammlung (v. 18) thaten sich vor anderen die Zünfte der Weber und Tuchmacher durch ihr energisches Auftreten hervor (v. 17). Aller Hass wandte sich zunächst gegen die ab|trünnigen Schöffen (v. 13-16): sie fielen als erste Opfer der Volks|wuth (v. 23) [Unser Lied spricht von baylies (bailifs), welches Wort im Alteng|lischen ganz allgemein einen Verwaltungsbeamten bezeichnet. Gemeint sind nach anderen Quellen die Schöffen.] . Die französischen Beamten der Stadt, und mit
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ihnen alle eingewanderten Franzosen, rotteten sich zusammen; sie mussten weichen und bezahlten ihren Widerstand mit dem Leben (v. 25-32). Nun entsandte König Philipp Truppen [Nach unserem Liede 1600 Mann Reiterei, wozu wir eine entsprechende Menge Fussvolk hinzufügen müssen: "Philippe y enoya main-forte"; Chro|nique de Saint-Denis.] gegen Brügge, welche er unter den Oberbefehl des Statthalters stellte. Man liess sie in die Stadt ein und gelobte Unterwerfung. Als sich aber gegen Abend das Gerücht verbreitete, Jacques de Saint-Paul wolle am nächsten Morgen die Rädelsführer hängen lassen, griff man wieder zu den Waffen und machte alle Franzosen in einem furchtbaren Blutbade — als flämische Vesper bekannt — nieder (v. 33-44; Chronique de Saint-Denis Chap. XLII). Der Statthalter selbst ent|kam, "occultement et secrètement" nach der Chr. de St.-D. (v. 45-48). — Wuthentbrannt schickte Philipp ein gewaltiges Heer unter dem Oberbefehl des Grafen von Artois gegen die aufständischen Flandrer aus. Bei Courtray kam es zur Schlacht. In Folge der Aufstellung der flandrischen Fusstruppen hinter einem sumpfigen Terrain, in welches die vorderen Reihen der französischen Reiterei durch das nachdringende Fussvolk hineingestossen wurden (v. 83-84, 97-100), sowie durch die gleichzeitigen Flankenangriffe des Veit von Dampierre und des Wilhelm von Jülich erlitten die Franzosen eine vollständige Niederlage. Gegen sechstausend Reiter erlagen den Lanzen|stössen der Handwerker, darunter die Grafen von Artois und St. Paul.
Es liegt in der Natur politischer Lieder, dass sie kurz nach dem Ereignisse entstehen, welches sie besingen, womöglich unter dem ersten Eindrucke, den dasselbe hervorbringt. So wird nachfolgendes Lied kurze Zeit nach der Schlacht bei Courtray, vielleicht noch im Juli des Jahres 1302 verfasst worden sein. Gewiss ist, dass es vor der Schlacht bei Mons-en-Puelle, d. h. vor dem 13. August 1304 entstand, denn nach v. 127 haben die Franzosen noch keinen weiteren Angriff unternommen; auch würde nach dieser Niederlage der Flandrer ein begeisterter Lobgesang auf ihre Tapferkeit nicht mehr zeitgemäss gewesen sein.
Die eingeklammerte Strophe (v. 113-120) gehört dem Gedichte
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in seiner ursprünglichen Form nicht an. Es sprechen hierfür mehrere Gründe:
- 1)
- Nachdem im Eingange des Gedichtes (v. 9-12) die Ab|schaffung ererbter Einrichtungen und die Einführung unpopulärer Gesetze als Gründe des Aufstandes angegeben sind, erscheint am Schlusse desselben die Gefangensetzung des Grafen Veit als Ver|anlassung des Kampfes. Letztere Angabe ist thatsächlich unrichtig; auch kann sie nicht von dem Verfasser der zweiten Strophe des Gedichtes herrühren. — Ein späterer Abschreiber wollte der histori|schen Vollständigkeit gerecht werden, indem er die Gefangennahme des Grafen in das Gedicht hineinverflocht.
- 2)
- In der letzten Strophe wird der Prinz von Wales, Eduard von Carnarvon, nachmals Eduard II., als derjenige bezeichnet, der an Frankreich Rache nehmen werde. Auf den beliebten König selbst war also zu der Zeit, als dies geschrieben wurde, nicht mehr zu rechnen. Dieser aber erfreute sich im Jahre 1302 noch seiner vollen Rüstigkeit; erst vom Jahre 1305 ab war er fast ununterbrochen von Krankheiten heimgesucht und liess in Anbetracht der sich einstellen|den Körperschwäche ein baldiges Ableben mit Sicherheit erwarten. Demnach ist die letzte Strophe jünger als das übrige Gedicht. — Die Erwähnung des Prinzen von Wales lässt uns schliessen, dass die unechte Strophe vor dem 7. Juli 1307, dem Todestage Eduards I., entstand.
Der Ton dieses Liedes charakterisirt dasselbe als ein echtes Spielmannslied. Die künstlichere Form des Stabreims verschmäht der Dichter (vgl. P. L. I), er zieht den ungeschminkten Ton der Volkssprache vor. Während der Kleriker seinem inneren Grimme ruhig ernste Worte leiht, ist auf dem Gesichte des Spielmannes die kernige Freude zu lesen, die der biedere, naive Mann aus dem Volke empfindet, wenn er hört, dass die Ungerechtigkeit ihrer Strafe ver|fallen ist, oder dass ein guter Freund seinem Widersacher einen festen, aber wohl verdienten Stoss versetzt hat. Bald mit derbem Scherz, bald mit lachendem Hohn, bald mit geballter Faust tritt der Dichter und Sänger vor seine Zuhörerschaft hin. Welcher Spott liegt nicht in der ruhmredigen Breite, in der er die Worte der französischen Barone referirt! Wie höhnisch klingt es nicht, wenn er ihnen das höfische Prädikat "gentil & free" beilegt! Nicht ohne Absicht wird
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er die Reden der franz. Grossen in der dem gemeinen Volke ver|hassten franz. Sprache wiedergegeben haben.
Die Strophe zerfällt in zwei Halbstrophen, jede aus drei Lang|zeilen mit schliessender Kurzzeile bestehend. Erstere zeigt den be|kannten sechsfüssigen Vers, hier regelmässiger als in P. L. I.; die Kurzzeile entspricht der Hälfte der Langzeile, bis zur Cäsur. — Durch den Reim der Kurzzeilen ist die Strophe als eine Einheit in sich abgeschlossen; bisweilen begnügt sich der Dichter mit blosser Asso|nanz. — In der Regel haben auch die Langzeilen der beiden Vers|hälften gleichen Reim, doch verzichtet der Dichter auf diese weitere Bindung der Strophe, wenn ihm der Reim zu viel Mühe macht.
Das Lied wird aus dem Süden Englands stammen, da es Ele|mente fremder Dialekte nicht enthält. Auch zeichnet es sich vor anderen Liedern durch eine verhältnissmässig einheitliche Ortho|graphie aus.
Th. Wright, Pol. Songs, pag. 187; Ritson, Ancient Songs, I, 51.
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VI. Gefangennahme und Hinrichtung des Simon Fraser.
Die beiden ersten Strophen des nachfolgenden Gedichtes sind als die einleitenden zu betrachten: sie machen uns mit dem Gegen|stande bekannt, der besungen werden soll. — Die Strophen 3 - 11 (v. 17 - 88) führen uns die Reihe der schottischen Aufstände in einer kurzen Uebersicht vor. An der Hand der geschichtlichen Entwick|lung wird der Fluch gezeigt, der auf diesen Empörungen lastet, und damit soll zugleich der Nachweis geliefert werden, dass das Beginnen des Fraser und seiner Genossen thöricht, meineidig und gottvergessen war. Die geschichtlichen Thatsachen, auf welche Bezug genommen wird, sind folgende: Baliol, der sich gegen die Oberhoheit Eduards I. über Schottland auflehnte, war bei Dunbar im Jahre 1296 geschlagen worden (v. 31). Im Jahre darauf erhob Wallace die Fahne der Empörung; er unterlag bei Falkirk (22. Juli 1297), gerieth im Jahre 1305 durch Verrath in die Hände der Engländer und erlitt
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die furchtbare Strafe eines Hochverräthers, noch geschärft dadurch, dass die einzelnen Stücke seines geviertheilten Körpers in den vier grössten Städten Schottlands (Newcastle, Berwick, Perth und Aberdeen) zur Warnung aufgepflanzt wurden (v. 17-20). Trotz des Eides der Treue, welchen die schottischen Prälaten und Barone kurze Zeit nach der Schlacht bei Dunbar dem englischen Könige in Berwick geleistet und später verschiedentlich wiederholt hatten (v. 33-34), crhob sich im Jahre 1303 ein neuer Aufstand unter John Comyn und Simon Fraser. Der Bischof von Glasgow erschien nebst anderen geistlichen Würdenträgern als Krieger in den Reihen der Schotten. Der Aufruhr war bald unterdrückt; die Empörer wurden mit Verbannung bestraft (in Dunfermlin, 9. Febr. 1304), im Jahre 1305 aber schon zurückgerufen, indem zugleich ihre Strafe in eine Geldbusse verwandelt wurde. Sie gelobten von neuem Treue, worauf dem Comyn sogar das Vertrauensamt eines "Guardian of Scotland" übertragen wurde. Eine neue Erhebung erfolgte, als Robert Bruce, der Enkel des ersten Kronprätendenten Bruce, durch die Ermordung des Statthalters Comyn in der Minoritenkirche zu Dumfries (10. Febr. 1306) sein Leben verwirkt hatte und nur in einem allgemeinen Auf|stande seine Rettung sah. Er liess sich zum Könige von Schottland krönen, und die Spitzen der Geistlichkeit: Wisheart, Bischof von Glasgow, Lambertus, Bischof von St. Andrew's, sowie der Abt von Scone, beeilten sich, ihn als solchen anzuerkennen und sich unter seine Fahne zu stellen (v. 49-69). Die Gemahlin des Bruce soll bei der Nachricht von der Thronbesteigung ihres Gatten geäussert haben, man habe ihn zu einem Sommerkönige gemacht, wenn er nur bis in den Winter dauere (v. 66). Diese Worte scheinen da|durch populär geworden zu sein, dass Bruce mit seinem Anhange noch im Sommer des Jahres 1306 besiegt wurde.
Mit Strophe 12 (V. 89) geht das Lied zu seinem engeren Thema über. Simon Fraser oder Frysel — in dieser Form erscheint der Name in allen handschriftlichen Ueberlieferungen —, dem schottischen Adel angehörig, hatte in Gemeinschaft mit Comyn den Aufstand von 1303 ins Leben gerufen. Er hatte mehr als einmal den Eid der Treue in die Hände König Eduards geleistet; er war diesem in Folge der ihm zu Theil gewordenen Begnadigung sogar zu persönlicher Dankbarkeit verpflichtet, — aber alle diese Rücksichten waren ver|gessen,
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als unter Bruce noch einmal die Waffen für die Unabhängig|keit und Autonomie Schottlands ergriffen wurden. In der Schlacht bei Kirkenkliffe nahm man ihn gefangen, nachdem sein Pferd unter ihm erschossen worden war (Dunstable Chronicle — Harl. 24 — Cap. 182). Mit ihm geriethen in Gefangenschaft: sein Freund Her|bert of Norham, dessen Vertrauen zu der Tapferkeit Fraser's ihn zu der Aeusserung veranlasst haben soll, er wolle freiwillig sein Haupt auf den Block legen, falls dieser in die Hände der Engländer fiele (v. 129-133); Thomas de Boys, der sich bereits an dem Auf|stande von 1303 betheiligt hatte und mit Fraser zugleich verbannt und begnadigt worden war (v. 139); Sir John of Lindsay (v. 98), welcher ebenfalls nach dem Aufstande von 1303 des Königs Gnade erfahren hatte. Alle diese wurden mit mehreren anderen Rittern im Tower [Der Vers 179 gestattet keinen Zweifel daran, dass die Gefangenen in den Tower gebracht wurden und dort bis zur Strafvollstreckung blieben. Unter der Bezeichnung Newgate (v. 115) verstand man häufig nicht das einzelne Gefängniss dieses Namens, sondern ein Gefängniss überhaupt. S. darüber Hwll. Dict.] in Gewahrsam gehalten; es war ein Volksfest für die Londoner, als die Gefangenen gefesselt durch die Strassen der Stadt geführt wurden. Ihre Verurtheilung und Hinrichtung fand nach dem übereinstimmenden Zeugnisse unsres Liedes und des Dunst. Chron. am Tage vor Mariae Geburt statt, also am 7. September (v. 145). Richter waren neben anderen: Thomas of Multon, dem Fraser nach seiner Ergreifung übergeben worden war (v. 107) "one of the justices of King's Bench in 1289" (Ritson); Sir Rauf of Sandwiche, "made a Baron of the Exchequer", id. (v. 147-148). Man fand sie des Hochverrathes schuldig und verurtheilte sie zu der Strafe, die "nach der Sitte des Landes" (v. 161) diesem Frevel folgte: sie wurden zum Galgen geschleift und gehängt; man schnitt darauf den Kopf vom Rumpfe, nahm die Eingeweide aus und verbrannte sie, befestigte mit Ketten den Kadaver wieder am Galgen und pflanzte den blutigen Kopf als warnendes Schreckbild auf London Bridge auf (v. 162 u. 163, 177 u. 168, 185-188). Auch die Sitte, den Landesfeind zum Spott mit einem grünen Kranze zu schmücken, erscheint hier (v. 180) nicht zum ersten Male: schon Wallace hatte eine solche Spottkrone getragen.
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Der Leichnam des Fraser wurde sorgfältig bewacht, damit er nicht von den Schotten im Dunkel der Nacht gestohlen würde (v. 209-216). Das Dunst. Chron. berichtet ferner, man habe ihn bis gegen Weihnachten am Galgen hängen lassen, dann aber herab|genommen und verbrannt. Die Wächter hätten nämlich zur Nacht|zeit viele Teufel den Galgen hinaufkriechen und mit eisernen Haken den Körper zwicken sehen, in Folge wovon einige sofort vor Schrecken gestorben wären, andere den Verstand verloren hätten. —
Zu v. 49-52. Die vorerwähnten geistlichen Herren wurden nach dem Dunst. Chron. (Kap. 182) ins Gefängniss gesetzt, und die Verfügung über sie dem Papste (Bonifacius VIII.) anheimgegeben.
Zu v. 204. Im Jahre 1295 hatten die Schotten unter Baliol mit Philipp dem Schönen von Frankreich ein Bündniss geschlossen gegen Eduard I. Dass aber Frankreich, wie die Verse 227 u. 228 zu besagen scheinen, auch nach der Vermählung der Isabella, Tochter Philipps IV., mit dem englischen Thronfolger (a. 1303) der Sache der Schotten mit bewaffneter Hand noch irgend welchen Vorschub habe leisten wollen, ist unwahrscheinlich und nicht zu erweisen. Auch erwähnt unser Lied ausdrücklich nur eines Gerüchtes.
Zu v. 91. Die Angaben über die Zeit und den Ort der Schlacht, in welcher Fraser in die Hände der Engländer gerieth, weichen von einander ab. Nach Lingard (Hist. of Engl. II, pag. 216) fand der einzige Zusammenstoss zwischen den englischen Truppen unter dem Grafen von Pembroke und dem Heere des Bruce am 19. Juni 1306 im Walde bei Methuen statt, bei welcher Gelegen|heit sechs schottische Ritter gefangen genommen wurden. Ferguson spricht von einer Schlacht bei Methuen, in welcher Bruce am 19. Juni von Eduard selbst besiegt worden sei. Beide folgen schotti|schen Quellen, denen gegenüber man aber in allen Punkten, welche sich auf die Geschichte des Nationalhelden Bruce beziehen, grosse Vorsicht zu beobachten hat. Zuverlässiger sind die Angaben unsres Liedes, zumal sie durch die Mittheilungen des Dunst. Chron. unter|stützt werden. Diesen Quellen zufolge wurde Aimer de Valence, Graf von Pembroke, (v. 83), an der Spitze eines Heeres, dessen Kern aus der soeben in der Westminster-Abtei des Ritterschlages gewürdigten jungen Blüthe des Adels bestand — darunter auch der Prinz von Wales, Eduard von Carnarvon (v. 82) —, gegen die
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Schotten voraufgeschickt. Es mag am 19. Juni ein Scharmützel stattgefunden haben, nach welchem die Engländer sechs schottische Ritter als Trophäen vorführen konnten; eine entscheidende Schlacht wurde erst geliefert, als König Eduard mit der Hauptmacht nach|gerückt war. Die feindlichen Heere stiessen auf einander "by syede se[n]ynt Johans Towne", jetzt Perth (Dunst. Chron.), bei Kirken|kliffe (v. 91 unseres Liedes), — also ohne Zweifel in der Ebene zwischen Perth, Methuen und Crieff (Kirkenkliffe?). Nach v. 105 und 106 unsres Liedes ereignete sich die Schlacht einige Zeit vor der Bartholomäusmesse, also vor dem 24. August; das Dunst. Chron. bestimmt das Datum derselben genauer als "the fryday nexte before the assumpcion day of oure lady", d. h. als den Freitag, welcher dem 15. August voranging. Diese Autorität erwähnt ausdrücklich, dass "sire Symonde frysell" in dieser Schlacht, welche 7000 Opfer an Todten allein von Seiten der Schotten gefordert habe, in die Gewalt der Engländer gerathen sei.
Die Zeit der Entstehung des nachfolgenden Liedes lag wahr|scheinlich dem 7. September des Jahres 1306, dem Tage der Straf|vollziehung an Fraser und seinen Genossen, nicht fern. Auf jeden Fall wurde es vor dem 7. November desselben Jahres verfasst, denn nach v. 218 ist der Graf von Asseles (Athole; das Dunst. Chron. schreibt Atheles) noch nicht in den Händen seiner Feinde, an diesem Tage aber starb er bereits am Galgen den Tod eines Hochverräthers (MS. of Westm. 461; Ritson).
An einer künstlerischen Durcharbeitung und Anordnung des Stoffes, einer logischen Bindung der einzelnen Strophen unter einander, einer Abrundung des Ganzen fehlt es in diesem Liede: Der gebildete Kleriker würde diesen Anforderungen genügt haben.
Die Form der Strophe erinnert an den Gesang gegen den König von Deutschland und legt die Vermuthung nahe, dass auch dieses Lied nach einer lyrischen Melodie vorgetragen wurde. Bei dem Uebergange der letzten Langzeile in den Refrain scheint die Melodie plötzlich eine kräftige Wendung genommen zu haben, wie P. L. I an der Stelle, wo "Richard" regelmässig wiederkehrt.
In der Behandlung des historischen Stoffes unterscheidet sich dieses Lied von dem Gesange gegen den König von Deutschland durch grössere Objektivität und Ruhe, in der Schilderung durch die
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vorherrschende epische Breite. Im übrigen treffen wir auch hier wieder denselben Patriotismus, dieselbe naive, kunstlose Sprache an.— Der übereinstimmende Eingang dieses und des vorangehenden Liedes "Lustnep, Lordinges" weist beide Dichtungen einer und derselben Gattung zu. Der Spielmann liebt es, sein Publikum anzureden, vgl. v. 115, 142, 152; P. L. V, 6, 129. —
Der Dialekt ist rein südländisch. Für die 3. pl. des Personal|pronomens hatte dieser Dialekt offenbar zwei Formen neben einander: hii (hy) und hee (hue); auch bei R. of G. finden sich beide.
Wright, Pol. Songs of England, p. 212; Ritson, Ancient Songs, pag. 28.
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VII. Wie es die Diener der Grossen treiben.
Der Dichter dieses Liedes giebt seiner Erbitterung Ausdruck über das prahlerische Gebahren der müssigen Dienerschaft, welche die Vornehmen in ihrem Gefolge zu haben pflegten. "Der Schöpfer schuf diese Schlemmer, damit sie das Ungeziefer unter den Menschen seien."
Die Strophe besteht aus acht gleichen Versen, von denen jeder zwei durch den Stabreim markirte Hebungen zeigt. Durch den Reim verbunden sind nur die Verse 2, 4, 6 u. 8. — Diese Strophenform hat sich aus der viermal wiederholten einreimigen epischen Langzeile entwickelt, vgl. P. L. I, III u. VI: Die Pause am Schlusse der Verse 1, 3, 5 u. 7 ist unvollkommener als die am Ende der Verse 2, 4 u. 6; nur 2, 4, 6 u. 8 sind durch den Reim mit einander verbunden; die gleiche Alliteration erstreckt sich oft, zumal im Eingange der Strophe, auf zwei Verse, einen ungraden und den zunächst folgenden. Es gehören demnach je zwei Verse enger zusammen; sie gingen aus einer Einheit hervor, aus einer durch die Cäsur in zwei gleiche Hälften getheilten Langzeile. Nun zeigt der alliterirende epische Vers in der Regel allerdings sechs Hebungen, unter diesen thun sich aber die durch den Stabreim ausgezeichneten Tonsilben, deren gewöhnlich vier sind, ganz besonders hervor. Nicht selten verzichtet der alliteri|rende Langvers auf alle weiteren Hebungen ausser diesen, vgl. P. L.
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III, 15, 31; wir treffen also in den vorangehenden Liedern Verse an, welche das genaue Vorbild der Verse unsres Liedes sind. So war die Möglichkeit der Kurzzeile dieses Liedes und die Anregung zu derselben in der alliterirenden epischen Langzeile selbst gegeben, vgl. Einl. zu P. L. II. — Uebrigens sind auch dreimal gehobene Verse in diesem Liede anzutreffen, v. 31, 33, 34, 53. — Beachtenswerth ist auch der Umstand, dass die Handschrift von v. 47 ab je zwei zusammengehörige Verse zu einer Zeile verbindet.
Nicht der tiefe Ernst, die auf Besserung der Zustände bedachte sittliche Entrüstung bilden den Grundton unsres Liedes, aus frivolem Spott, grimmigem Aerger und den allerderbsten Spässen baut es sich auf. Freilich scheut auch der Kleriker, wie wir in einigen der vor|stehenden Lieder gesehen haben, ein kräftiges Wort nicht, wenn er zum Volke spricht, aber in dem Tone dieses Liedes kann nur der Mann aus dem Volke selbst sprechen. Wir dürfen dasselbe ohne Bedenken einem Spielmanne zuschreiben. — Die epische Ruhe fehlt diesem Liede gänzlich, der lebhaft bewegte Ton trägt ein rein lyrisches Gepräge.
Der Dialekt ist rein südländisch.
Th. Wright, Pol. Songs of England, pag. 237.
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VIII. Elegie auf den Tod Eduards I.
"Eduard I. war zu seinen Lebzeiten der Gegenstand fast grenzenloser Verehrung von Seiten seiner Unterthanen. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein nationaler König. "In dem Augen|blicke, als die Scheidung in Sieger und Besiegte aufgehört hatte, und
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England sich wieder als eine Nation fühlte, sah es in seinem Herrscher keinen Fremden, sondern einen Engländer." F. R. Green, History of the English People, pag. 175. — Der Eindruck, den die Nachricht vom Tode Eduards hervorrief, war um so tiefer, als man von seinem Sohne und Nachfolger Eduard II. (von Carnarvon) wenig Gutes erwartete. Geben doch die eigenen Worte des Königs der Sorge Ausdruck, man möchte seinem Sohne die Krone vorenthalten (v. 23 u. 24). — "The peple mad muche sorowe for good kyng Edwardes deth, for they wente that goode kyng Edwarde shuld haue goon to the holy lande for that was holiche his purpose." Dunstable Chronicle, fol. 125 b.
Dass Eduard gegen Ende seines Lebens noch einen zweiten Kreuzzug habe unternehmen wollen, bestätigen also auch andre Quellen. Nach unsrem Liede sollen 80 Ritter ausgesandt werden, um sein Herz in's heilige Land zu bringen; andre Quellen erzählen, dass Eduard in seinen letzten Augenblicken die Summe von 30,000 £ dazu bestimmt habe, um 140 Ritter zu diesem Zwecke auszurüsten (Warton, History of English Poetry, ed. Hazlitt, II, 104 u. 105). Dieser Wille des Königs kam nicht zur Ausführung. Die Verse 33-40 unsres Liedes sollen nach Warton darauf Bezug haben. Dies ist aber schon deshalb sehr wenig wahrscheinlich, weil das Lied offen|bar gleich nach dem Tode Eduards gedichtet wurde. Wir werden jene Verse auf das Vorhaben eines zweiten Kreuzzuges beziehen müssen.
Wir haben in diesem Liede kein Original vor uns, sondern die Uebersetzung eines französischen Liedes, welches im Anhange mit|getheilt ist. Sprache, Vers- und Strophenbau des Originals sind im ganzen akkurat nachgeahmt. Die Uebersetzung ist nicht ohne Geschick, auch ist der Vers sorgfältiger und reiner als in der Mehrzahl der vorangehenden Lieder. Jedenfalls hat der Uebertrager eine höhere Schulung besessen als die Verfasser der besprochenen Spielmanns|lieder. Der Gegenstand an sich musste den Spielmann aus dem Volke und den Kleriker in gleichem Grade anziehen. Der Vers 77, welcher in der französischen Redaction sein Vorbild nicht findet, lässt uns erkennen, dass die Uebertragung für das Volk bestimmt war. Der gelehrte Beigeschmack des Originals ist überhaupt vermieden.
Die Sprache zeigt neben südländischen auch einige west-mittel|ländische Formen, z. B. þore, lys 3. sg. prs. ind., buen 3 pl. Wir
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dürfen daher vielleicht eine west-mittelländische Grafschaft als Geburts|stätte dieses Liedes ansehen.
Th. Wright, Pol. Songs of England, pag. 246; Percy, Reliques of Ancient English Poetry II, pag. 5 (Tauchnitz Edition).