Die Kildare-gedichte; die ältesten mittelenglischen denkmäler in anglo-irischer überlieferung von Dr. W. Heuser ...
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- Die Kildare-gedichte; die ältesten mittelenglischen denkmäler in anglo-irischer überlieferung von Dr. W. Heuser ...
- Author
- Heuser, Wilhelm
- Publication
- Bonn,: P. Hanstein,
- 1904.
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"Die Kildare-gedichte; die ältesten mittelenglischen denkmäler in anglo-irischer überlieferung von Dr. W. Heuser ..." In the digital collection Corpus of Middle English Prose and Verse. https://name.umdl.umich.edu/AJT2514.0001.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed April 24, 2025.
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Vorbemerkung.
Was die Varianten anlangt, so bemerke ich, daß sie sich, wenn nichts weiter dabei bemerkt, auf den letzten der englischen Herausgeber beziehen, also für Sar., XV S., FP., X C., VII S., Christ, Cok., Sat., Frag., Er., El., V evil things auf Furnivall "Early English Poems and Lives of Saints"; für H., Lull. auf Thomas Wright "Reliquiae Antiquae", für Tierf. und Nego auf T. Wright "Political Songs" Camden Society 1839, für Bir. auf Ritson "Ancient Songs and Ballads". Mätzner's Abdruck der vier Predigtgedichte und des Land of Cokaygne in den Ae. Sprachproben hat zum Verständnisse und zur Besserung des Textes sehr viel beigetragen, beruht aber nur auf den englischen Ausgaben, nicht auf der Hs. selber. Furnivall löst zum Teil die Abkürzung a' (= and) durch an auf, stets i c (= ich) durch ic, und ist zuweilen ungenau in Bezug auf den Gebrauch von þ und th, u und v. Wright hat ic für i c und modernisiert u und v, þ und th; ebenso Ritson, der außerdem noch ȝ durch gh und y wiedergibt und a' (= and) mit ant(!) auflöst. Alles dieses habe ich stillschweigend genau der Hs. entsprechend geregelt, ohne die Abweichungen der englischen Herausgeber in die Varianten aufzunehmen. Ebenso habe ich Iesus für die Abkürzung ihc̄, Iesu für die Abkürzung ihū eingesetzt, wo die früheren Ausgaben teils Ihesus, teils ihsu etc. geben. Die Zu|sammenschreibung oder Trennung von Wörtern, die in der Hs. vielfach willkürlich ist (z. B. bi gun für bigun), habe ich still|schweigend geregelt; Fälle wie god is speche sind natürlich nicht angetastet, da sie nicht die Genitivendung, sondern das Possessivpronomen is (= his) enthalten; anderenfalls würde goddis geschrieben sein. Wie Wright und Furn. habe ich h als he und das seltene k als ke aufgelöst.
Die vereinzelten von späterer Hand im Ms. hinzugefügten Überschriften oder Randbemerkungen sind nur ausnahmsweise berücksichtigt.
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Gedichte religiösen und verwandten Inhalts.
I. Hymn by Michael Kildare.
Gedruckt von Thomas Wright, Rel. Ant. II, 190.
Das einzige unserer Gedichte, dessen Verfasser sich direkt nennt, und zugleich das einzige Stück im ganzen Ms., welches den Namen Kildare enthält, verdient schon darum besondere Beachtung. Weiteres wissen wir über den Dichter leider nicht. Wir sind nicht berechtigt, ihn mit Madden und Crofton Croker zum Autor oder gar zum Schreiber des ganzen Ms. zu machen; wir haben nicht einmal das Recht, ihm mit T. Wright die kühne Satire "of men þat woniþ in lond" zuzuschreiben und den Schauplatz derselben nach Kildare zu verlegen. Die Hymne steht mit ihrem kunstvollen Versbau ganz allein da unter den Gedichten des Ms., es ist also durchaus möglich, daß nur dieses eine Gedicht auf Michael zurückgeht. Auch daß Bruder Michael ein Franziskaner war, wie von jeher kurzhin angenommen wurde, ist nicht direkt bezeugt. Wahrscheinlich allerdings hat an der entscheidenden Stelle in Str. 15 þis sang wroȝt a frere noch menour auf der jetzt vorhandenen Rasur gestanden, denn der Reim verlangt ein Wort auf -our. Wäre unser Ms. übrigens nicht eine spezifische Franziskanerhandschrift, so könnte man ebensogut prechour einsetzen und ihn damit zum Dominikaner stempeln. Wir müssen uns also mit dem bloßen Namen be|gnügen, obgleich Form wie Inhalt des Gedichtes einen nicht gewöhnlichen Dichter verraten, der sicherlich nicht nur diesen einen poetischen Versuch gemacht hat.
Der Versbau des Gedichtes ist sehr kunstvoll und hat meines Wissens in der ganzen me. Litteratur kein genau entsprechendes
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Seitenstück. Die verschlungene zehnzeilige Strophe hat die Reimstellung aaabababab, wobei zu beachten ist, daß im 7. und 9. Verse gewöhnlich noch leoninischer Reim auftritt. Der Dichter gebrauchte also in jeder Strophe nicht weniger als acht a-Reime neben vier b-Reimen. Die a-Verse sind viertaktig, die b-Verse dreitaktig, ein a-Vers mit dem folgenden b-Verse zusammen bildet demnach einen regelrechten Septenar. Die Strophe unseres Dichters stellt sich damit als eine Abart der wohl|bekannten altertümlichen vierzeiligen Strophe von Langversen mit durchgehendem Reime heraus und ist daraus hervor|gegangen durch eingeflochtenen Reim und Erweiterung des ersten Septenars (a + b zu aaa + b). Lassen wir die beiden ersten a-Verse weg und sehen wir von dem eingeflochtenen Reim ab, so ist das ursprüngliche vierzeilige Schema wieder hergestellt. Schipper's Ansicht, welcher die Strophe Michael's als eine Er|weiterung der Schweifreimstrophe auffaßt (Engl. Metrik I, 381), kann ich nicht teilen. Die dazu vorausgesetzte Art der Schweif|reimstrophe mit der Reimstellung aaabab ist selbst schon zu selten und wird schwerlich noch weitere Variationen hervor|gerufen haben, während andererseits die Zurückführung auf die beliebten Vier-Zeiler mit durchgehendem Reim keine Schwierigkeit bietet. — Immerhin stellte eine solche Strophe mit ihrer großen Zahl gleicher Reime nicht unbedeutende An|forderungen an das technische Können eines Dichters. Bruder Michael hat die nicht leichte Aufgabe recht glücklich gelöst und zugleich bewiesen, daß er mit dem Wohllaut der Form warme Empfindung und gedankenreichen Inhalt zu vereinen wußte. Sein Thema [Das Gedicht ist keine Hymne auf Jesus, wie Brandl, Grdr. II, 640 meint, obgleich es mit der üblichen Anrufung Jesu beginnt.] war ja das immer wiederkehrende, das sich auch mit den Reimpredigten unseres Ms. eng berührt: Die Vergänglichkeit irdischen Gutes und Glückes und die Mahnung zu rechtzeitiger Umkehr, die er besonders dem Reichen zuruft. Auffallend ist der Reichtum der Sprache an lebhaft geschauten und z. T. länger ausgeführten Bildern, die sich von den typischen Vergleichen anderer me. Dichter vorteilhaft abheben und das ganze Gedicht fast von Strophe zu Strophe durchziehen. So wenn er den Reichen mahnt, daß der Bogen für ihn gespannt ist und das Feuer angezündet,
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daß er selbst einem Holzklotz gleicht, würdig in der "Höllen|kufe" zu brennen, oder einem gebrechlichen Baumstamm von kurzen 7 Fuß Länge, außen geschmückt mit Hab und Gut, doch mit der Axt an der Wurzel, und dahinter der Satan voll Begierde den Stamm zu fällen.
Auch die Predigtgedichte unseres Ms. sind reich an Ge|danken; an Wohllaut der Form und Vollendung der Sprache steht die Hymne weit über ihnen.
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II. Die vier Predigtgedichte.
Gedruckt von Furnivall, EEP. p. 1 ff.; Mätzner, Altengl. Sprachproben 115 ff.
Die vier Gedichte Sarmun, XV Signa, Fall and Passion und X Commandments sind durch Inhalt und Bestimmung, ebenso wie durch Sprachcharakter und Versbau zu einer Ein|heit verbunden, zu der sich als Anhängsel auch noch Tierf. zu gesellen scheint, welches mehrere Strophen mit Sar. gemeinsam hat und abgesehen von den ersten achtzeiligen Strophen ebenfalls in vierzeiligen Strophen von viertaktigen, kreuzweise gereimten Versen abgefaßt ist. Gerade die Vier|zeiligkeit der Strophe ist es, die für unsere Gedichte charak|teristisch ist, da sie sich meines Wissens in der älteren me. Litteratur sonst nicht findet, so häufig auch die achtzeilige Strophe mit Kreuzreimen schon früh in der me. Lyrik auftritt. Auch in späterer me. Zeit blieb die achtzeilige Strophe dieser Art im Übergewicht. Die einfachen Vierzeiler waren für
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unsere Reimpredigten brauchbarer als die kunstvolle lyrische Strophe und nähern sich in dieser Hinsicht dem typischen Versmaß didaktischer und theologischer Dichtungen im Me., den kurzen Reimpaaren. Nicht durch die Schönheit der Form, sondern durch das Packende des Inhalts sollte auf das Publikum gewirkt werden, das vielleicht nicht gerade zu den gewähltesten gehörte. So erklären sich zahlreiche äußere Härten, das Fehlen von Senkungen nicht bloß, sondern hier und da auch von Hebungen, eintönige oder mangelhafte Reime, ja mehrmals Fehlen des Reimes, Schwächen, denen ein durchweg gedanken|reicher Inhalt und kräftiger Ausdruck gegenüber steht. Daß unsere Gedichte Reimpredigten und für den öffentlichen Vortrag bestimmt waren, ergibt sich aus dem Ton derselben und mancherlei unzweideutigen Hinweisen. Das erste derselben wird am Schluß direkt als sarmun bezeichnet und hat daher von allen Herausgebern diesen Titel erhalten. Aber wie die lehrhafte Tendenz und der volkstümliche derbe Ton, so sind die direkten Anreden an die Zuhörerschaft den anderen drei Gedichten ebenso zu eigen.
Sarm. 237 heißt es:
Alle þat beþ icommin here Forto hire þis sarmun
Und ganz ähnlich auch:
Godmen, takiþ nou gome Line XV S. 21 Wate hit is, ich ȝou tel mai Line 132 Þe XV tokningis ichul ȝou telle Line 9 Ichul ȝou telle, sires, beleue! Line FP. 28 Me to spek and ȝou to here, Line 5 Me to teche and ȝou to lere Man and womman, ich red be ware Line X C. 5 Ȝure gret oþis þat ȝe beleue And bot ȝe nul, etc.
Aus derartigen Stellen geht hervor, daß der Dichter zu|gleich Sprecher war und seine Zuhörerschaft vor Augen hatte. Daß seine Zuhörer beiden Geschlechtern angehören, wird bewiesen durch die Anrede: man and womman XV S. 5. 161; X C. 5.
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Ich halte es für wenig zweifelhaft, daß die vier Predigt|gedichte von einem und demselben Verfasser stammen, denn außer der Gemeinsamkeit von Tendenz, Inhalt und Form weisen die Anfänge und Schlüsse wörtliche Ubereinstimmungen auf. Man vergleiche die Einleitungen:
Þe grace of godde and holi chirche, Line Sar. 1 Þroȝ uertu of þe trinite ... Þe grace of Iesu fulle of miȝte Line XV S. 1 Þroȝ prier of ure swete leuedi Mote amang vs nuþe aliȝte ... Þe grace of god ful of miȝt Line FP. 1 Þat is king and euer was Mote amang vs aliȝt ... [Nou Iesu ...] Ȝif vs grace to wirch ... Line X C. 3
Die Schlüsse lauten:
Beseche we him mek of mode Line Sar. 233 Þat soke þe milk of maid is brest, Þat boȝt us wiþ is der blode, Ȝiue us þe ioi þat euer sal lest etc. And after he steiȝ to heuen aboue, Line FP. 213 Þer ioi is þat euer lest etc. Besech we him mild of mode Line X C. 77 Þat sok þe milk of maid is brest Þat boȝt vs wiþ is der blod Ȝiue vs euer in heuen rest. hat keinen Schluß, da unvollständig erhalten. Line XV S.
Die Sprache der vier Predigtgedichte ist in sich ein|heitlich. Reim und Schreibung decken sich vollkommen, fremde Elemente sind nicht nachweisbar. Sie repräsentiert den Kildare-Dialekt in schärfster Ausprägung, wie allein schon aus den Reimen von apan : -an hervorgeht, die sich außerdem nur noch in Tierf. finden. Es kann somit kein Zweifel bestehen, daß die vier Gedichte nicht allein in Irland geschrieben, sondern auch verfaßt sind, und wir werden kaum fehl gehen, wenn wir Verfasser wie Schreiber in Franziskaner|mönchen der mutmaßlichen Heimat unseres Ms., also der Gray Abbey zu Kildare suchen. Der volkstümlich derbe Ton der
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Gedichte paßt durchaus zu einem predigenden Bettelmönch, der bezeichnenderweise zugleich die Rolle des Ablaßspenders übernimmt, wie aus dem Schlusse von Sar. hervorgeht. Bei keinem Mönchsorden aber spielte der Ablaß eine so große Rolle wie bei den Franziskanern. Schon 1223 wurde dem Orden der berühmte Portiuncula-Ablaß erteilt und gar bald war die Berechtigung der Ablaßerteilung auf alle Minoriten|klöster ausgedehnt. Welchen Raum die Indulgentia der Portiunculakirche (Ecclesia Sanctae Mariae de Angelis prope Assisium) in unserem Franziskaner-Ms. einnimmt, geht aus den lat. Stücken Nr. 15-19 der Inhaltsangabe zur Genüge hervor.
Gedruckt von Furnivall, EEP. p. 1; Mätzner, Ae. Spr. p. 115. Im Ms. und ebenso von den Herausgebern in vierzeilige Strophen abgeteilt.
Der Dichter beginnt mit einem Hinweis auf ein lat. Buch, aus dem er schöpft, und führt den Heil. Bernhard selber, den großen Prediger des frühen Mittelalters, als Gewährsmann an. Er verbreitet sich in zum Teil sehr kräftiger Sprache über die Nichtigkeit alles dessen, auf das der Mensch stolz zu sein pflegt; er warnt die Habsüchtigen und die Reichen und er|innert dabei an die wohl seinen Zuhörern — aber leider nicht uns — bekannte Geschichte von Wlonchargan; er deutet die Schrecken des jüngsten Tages mit wenigen Strophen an und mahnt an die Vergänglichkeit des Lebens, in das der Mensch nichts mit hineinbringt, aus dem er nichts mit fortnimmt. Nachdem er dem Zuhörer die Hölle heiß genug gemacht hat, schließt er mit einem freundlichen Ausblick auf die Freuden des Himmels, der "woningis mani and fale" für die guten Christen hat.
Der Darstellung fehlt es nicht an drastischen Bildern: Schultern und Seite des Menschen als Wildpark, in welchem "luse and flee" zu jagen sind; des Menschen "felle" als Sack, der mit Kot und Schmutz gepudert ist; Hab und Gut als un|getreuer Genosse, der verläßt oder verlassen wird — alles dieses war lebendig genug, um auf die Zuhörer Eindruck zu machen. An Beziehungen zu anderen Gedichten fehlt es nicht. Das jüngste Gericht wird gestreift, wie bereits bemerkt; die Verse 161-172 kehren fast wörtlich in Tierf. wieder; die
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Charakterisierung der Vergänglichkeit mit dem Ausdruck: nou he is and nou he nis findet sich ähnlich VII S. 93 her it is etc., aber ebenso auch sonst im Me., wie z. B. Böddeker, p. 195. Die ausgiebige Verwendung der Würmer, deren Weide der mensch|liche Leichnam ist, war auch sonst beliebt (cf. Böddeker, Altengl. Dichtungen etc. p. 225 þat mon is worm and wormes kok Ant wormes he shal fede). An das volkstümliche Losungswort der nach Selbständigkeit ringenden unteren Schichten im 14. Jahr|hundert: Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann? (cf. Grdr. II, 667) klingt bereits eine Stelle in unserem Gedichte an, cf. Vers 33: Sire, whar of is þe gentilman Of eni oþer etc. Alles in allem scheint mir Sarmun das ansprechendste und gedankenreichste unter den vier Predigtgedichten zu sein.
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Gedruckt von T. Wright, Chester plays II, p. 219; Furnivall, EEP. p. 7; Mätzner, Ae. Sprachpr. p. 120.
Im Ms. bis V. 44 in vierzeiligen Strophen, von da ab in Langzeilen, die den Eindruck von Reimpaaren (mit eingeflochtenem Reim) erwecken. Im Ms. sind hinter fol. 21 offenbar Blätter ausgefallen, so daß das Gedicht, welches bis fol. 21 b unten reicht, zwar als Fragment erhalten, aber ursprünglich wahrscheinlich vollständig gewesen ist. — Über die Ver|breitung des beliebten Stoffes und die inneren Beziehungen der ver|schiedenen Versionen zu einander vgl. Mätzner, a. a. O. Einleitung; C. Michaelis, Herrigs Archiv 46, p. 33; E. Sommer, Haupt's Zeitschrift III, p. 523; R. Peiper, Arch. f. Litt. IX, p. 117; G. Noelle, Beiträge VI (1879), p. 413, von denen die letzte Abhandlung die ausführlichste und grundlegende ist und auch einen Abdruck der wichtigsten Texte bietet.
Die Vorstellung von dem jüngsten Tage in Verbindung mit dem Untergange der Welt und mancherlei vorausgehenden Zeichen spielt in der christlichen Litteratur des Mittelalters eine sehr bedeutende Rolle und beruht in letzter Linie auf Stellen des Alten und Neuen Testaments, sowie besonders auf dem apokryphen 4. Buch Esra. Mehrfach findet sie sich schon bei den ältesten Kirchenvätern eingeflochten, wenn auch nur mit wenigen Zeichen. Ihre eigentliche Ausbildung scheint sie aber durch ein griechisches Akrostichon erhalten zu haben, das von Augustin in lat. Hexameter übertragen wurde und so die
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weiteste Verbreitung erlangte. Immer zahlreicher, immer be|stimmter ausgeprägt werden von jetzt ab die Bearbeitungen. In dem Akrostichon waren die Zeichen noch nicht nach Tagen geschieden, und auch in der Folgezeit schwankt die Zahl wie die Art derselben noch sehr. Wir finden drei, vier oder — wie in einem ae. Predigtfragment und dem me. Gedicht "Debate between the Body and the Soul" — sieben Zeichen. Die Fünfzehnzahl, welche sich zuerst in einer Beda zugeschriebenen Schrift des Adso findet, herrscht bald allgemein. Unter ihren Vertretern zeigen drei Typen, nämlich Beda (Adso), Comestor und Thomas von Aquino mit ihren Gruppen sowohl in der Reihenfolge wie in der Art der 15 Zeichen unter sich die engste Verwandtschaft. Eine vierte Gruppe, welche haupt|sächlich durch das dem 12. Jahrhundert angehörende westfrz. Gedicht von den Quinze Signes (cf. Gröber's Grundriß für Rom. Phil. II, 691) vertreten wird, fügt nicht weniger als acht neue Zeichen hinzu, zieht andere Zeichen zusammen oder läßt sie weg und hat eine vielfach abweichende Reihenfolge von den zuerst erwähnten Gruppen. Jene berufen sich gleich im Anfang auf den Heil. Hieronymus — und nur auf diesen — als ihren Gewährsmann, das afrz. Gedicht beruft sich mitten im Text auf Augustin und erst an einer zweiten Stelle wird Hieronymus, aber in Gemeinschaft mit anderen genannt
(cf. Saint Gregoire avec saint Jheroime, Saint Ambrose avec saint Augustin Tesmoignent etc.).
Übrigens ist weder über die Beteiligung des Hieronymus noch über die des Ambrosius und Gregor etwas bekannt. Jedenfalls liegt aber ein tiefgehender und offenbar schon von den Quellen herrührender Gegensatz zwischen dem afrz. Gedicht und den übrigen Gruppen vor.
Auf das frz. Gedicht führte zuerst Mätzner und ihm folgend Noelle die me. Version unseres Ms. zurück; Brandl macht Grdr. II, p. 627 demgegenüber die unbegreifliche Bemerkung, daß dieselbe sicher bloß auf lat. Vorlage, auf Petrus Comestor, beruhe. Hat denn Brandl die so leicht zugängige Fassung Comestors überhaupt vor Augen gehabt, als er dies nieder|schrieb? Das me. Gedicht, wenn es auch mit seiner Vorlage frei genug umspringt, hat ganz unverkennbar die charakteristischen
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Zeichen und die selbständige Anordnung des afrz. Gedichtes, und von diesem ist Comestor, wie oben nachgewiesen, grund|verschieden. Es ist auch ziemlich zweifellos, daß die Vorlage unseres engl. Gedichtes nicht eine lat., sondern eine französische war. Wie wollte man sonst wörtliche Übereinstimmungen mit dem frz. Gedichte (gedruckt bei Pallustre: Adam, mystère du XII. siècle), wie die folgenden, beurteilen:
Þat al þing nou sal suffri tene Line V. 32 Que tote rien soeffre dolor Þe first tokning sal be þusse ... Line V. 33 And þat oþer sal be wors Li premiers jors iert tot reals Mes li secund serra plus mals. Þe eiȝt dai so is dotus ... Line V. 113 Ful of tene and angus Li octimes serra dotos Sor toz ices molt anguisos Þe .IX. tokin sal be þus ... Line V. 129 Ouer al þat oþer sal deuers(!) Li novismes sera divers E de toz signes mult dispers Þer nis no seint in heuen abow Line V. 145 In al god is ferred Qu'il n'est nul saint qui tant seit chier El ciel empres son criatur Louerd, ȝif vs ur herbergi Line V. 167 Rent nos nostre herbergerie
Andererseits verfährt der englische Dichter in seiner Reim|predigt sehr frei mit seiner Vorlage: er ändert oft willkürlich, er setzt hier und da auch Zeichen hinzu, die ihm vielleicht aus anderen Quellen geläufig sein mochten, zumal aber kürzt oder unterdrückt er, wohl mit Rücksicht auf sein Publikum, die lang ausgeführten Stellen. So fehlt in dem me. Fragment der Blutregen des ersten Zeichens, im vierten wird die Sonne rot, in der Vorlage der Mond, im neunten sprechen die Himmel (þe skeis), in der Vorlage die Flüsse. Nicht in der Vorlage, aber aus anderen Fassungen wohl bekannt ist im zweiten
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Zeichen, daß die Menschen wie unsinnig hin und her laufen und die Toten auf den Gräbern sitzen, im siebenten das Bluten der Bäume, im achten, daß das Meer aufrecht wie eine Mauer steht (Comestor etc.: sicut murus). Ganz willkürlicher Zusatz ist wohl, daß im 12. Zeichen die vier Elemente Jesu anrufen. Es wäre ja denkbar, daß dem me. Dichter eine von der erwähnten abweichende afrz. Fassung vorgelegen hätte, wesent|liche Unterschiede aber scheinen zwischen den zahlreichen Hss. des afrz. Gedichtes nicht zu herrschen, und lieber als eine verloren gegangene Quelle möchte ich selbständige Änderungen annehmen, die der predigende Bettelmönch sich seinem Publikum gegenüber schon erlauben durfte und für die er ja auch andere Gewährsmänner hätte beibringen können. So fügt auch der ebenfalls dem afrz. Gedichte folgende Cursor Mundi im Anfang eine Stelle ein, die seiner Quelle fremd, aber für Adso und Comestor charakteristisch ist; cf. 22441: Als Ierome sais ... he fand in þe bok o Iuus (Adso, Comestor: invenit Hieronymus in annalibus Hebraeorum).
Zum Schluß möge eine Aufzählung der vielfachen me. Fassungen folgen, nach Gruppen geordnet, da die seinerzeit von Noelle gegebene sehr dankenswerte Liste nicht immer zugängig und veraltet (1879) ist, zumal da sich die Zahl der Versionen um einige neu anfgetauchte vermehrt hat.
- 1.
- XV signa ante iudicium, Ms. Harl. 913, Fragment (cf. oben).
- 2.
- Les XV singnes de domesday, Ms. Digby 86, ed. Stengel, Fragment.
- 3.
- Ms. Cambr. Univ. Ff. II, 38, ed. Varnhagen, Anglia III, 534 (noch nicht bei Noelle).
- 4.
- Ms. Cott. Cal. A II, ed. Varnhagen, Anglia III, 543 (noch nicht bei Noelle), schließt sich ziemlich eng an die Version des Digby-Ms. an.
- 5.
- Cursor Mundi, V. 22427-22710. (Hier fügt Noelle falsch ein als Nr. 6: Anticrist and the Signs before the Doom, Ms. Cott. Vesp. A III, ed. Morris, Ebert's Jahrbuch V, 191; identisch mit Nr. 5).
- 6.
- XV signa ante diem Judicij, Ms. Cambr., Trin. Coll. B 11. 24, ed. Furnivall, EETS. 24, p. 118. (Von Noelle übersehen).
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- 7.
- Pricke of Conscience, V. 4738-4817.
- 8a.
- Metrical Homilies, ed. Small, p. 25. Der eigentliche Bericht beginnt: Sain Ierom telles that fiften ... und enthält 44 Verse.
- b.
- Die ausführlichere Version des Ms. Harl. 4196, noch un|gedruckt, mit manchen Änderungen, enthält 58 Verse.
- 9.
- Saint Ieremie (= Jerome) telleþ etc. Ms. Laud 622, ed. Furnivall, EETS. 69, p. 92.
- 10.
- Nowe XV signes, while I have space etc., gedr. Wright, Chester plays II, p. 147, enthalten in dem Stück Ezechiel.
- 11.
- The fiffteene toknys aforn the doom, Ms. Harl. 2255, gedr. von Wright, Chester plays II, p. 222.
- 12.
- Debate of the Body and the Soul, Ms. Harl. 2253, ed. Böddeker; Ms. Digby 86, ed. Stengel.
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Gedruckt von Furnivall, EEP. p 12; Mätzner, Ae. Sprachpr. I, 124.
Im Ms. geschrieben in Langzeilen von acht Takten (mit eingeflochtenem Reim), ebenso bei Furnivall abgedruckt, während Mätzner in vier|zeilige Strophen abteilt.
In dieser Reimpredigt werden den Zuhörern die beiden Hauptmomente des Alten und Neuen Testamentes vorgeführt: der Sündenfall, dem Lucifers Anmaßung und Erniedrigung vorausgeschickt wird, und die Erlösung durch Christi Leiden und Sterben. Die Darstellung ist einfach erzählend, nur bei der Uberleitung vom ersten Teil zum andern und am Schlusse, bei der Auferstehung, wird sie etwas verwickelter und mit Betrachtung verknüpft. Naiv ist die Frage, die der Dichter sich selbst vorlegt, warum die Schlange lieber zu Eva als zu Adam gekommen sei, und ihre Beantwortung, daß das Weib des Mannes Willen lenken könne, wie es wolle; erwähnenswert der Zug, daß seint Ion, patriarkes and oþer mo von Christus aus der Hölle geholt werden, eigenartig, daß die Mutter des Heilandes bei seinem Tode nur vier bitter teris of blode zu weinen vermochte.
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Gedruckt von Furnivall, EEP. p. 15; Mätzner, Ae. Sprachpr. I, 128.
Im Ms. in Langzeilen von acht Hebungen und so auch von Furnivall gedruckt, während Mätzner wiederum vierzeilige Strophen hat.
In der religiösen Litteratur des englischen Mittelalters begegnen wir, wie zu erwarten, sehr zahlreichen Behandlungen dieses Gegenstandes, teils in größere Werke eingefügt, teils selbständig für sich stehend, wie hier, gewöhnlich aber auch im letzteren Falle begleitet von ähnlichen Gegenständen wie zumal die sieben Todsünden. Nicht selten sind schon die poetischen Bearbeitungen, zahlreicher noch die prosaischen, von denen die größere Menge noch in den Handschriften ver|graben liegt. Günstiger sind wir gestellt in Bezug auf die poetischen Darstellungen, von denen dies kaum anzunehmen ist. Ich erwähne nur die folgenden selbständigen Gedichte:
- 1.
- Ms. Cambr. Univ. Ff. 6, 15, ed. Morris, O. E. Misc. p. 200.
- 2.
- Ms. Cambr. Jesus Coll. Q. T. 3, ed. Halliwell, Rel. Ant. I, 49.
- 3.
- Ms. Lambeth 853, ed. Furnivall, EETS. 24, p. 104.
- 4.
- W. Shoreham, ed. Konrath, EETS. Extra S. 86, p. 86.
- 5.
- cf. Handlyng Synne v. Rob. of Brunne.
- 6.
- cf. Proben aus Ms. Laud 416, gedr. Rel. Ant. II, 27.
- 1.
- Eine Version in Ms. Harl. 1706 und Harl. 5396.
- 2.
- Ms. Laud 463 (früher Laud 70) von mir kopiert.
- 3.
- Ms. Arundel 20.
Allen diesen Fassungen gegenüber stellt sich unser Gedicht als die älteste und mit keiner der übrigen verwandte Fassung dar. Die Eigenart unseres Dichters zeigt sich auch hier wieder in sehr freier Behandlung des Stoffes, die sich durchaus nicht eng an die Darstellung der Bibel hält, die Reihenfolge ändert, einige Gebote ganz wegläßt, den eigentlichen Text aufs äußerste kürzt, aber dafür zuweilen in ganz interessanter Weise ab|schweift, wie z. B. wenn er die bösen Kinder mit den jungen Bienen vergleicht, welche die alten austreiben. Wir haben hier einen ganz deutlichen Fingerzeig, wie der Dichter mit seiner afrz. Quelle für die XV signa verfahren sein mag. Recht ausführlich behandelt er gegenüber seinem eigentlichen Thema
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die Einleitung, in der er gegen die "gret oþis" auf Christi Gliedmaßen eifert, wovon wir nicht ablassen, bis wir sie alle durch Schwören geschändet haben (forswore).
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III. Seven Sins. (Fragment.)
Gedruckt von Furnivall, EEP. p. 17.
Die Reimpaare des zweiten Teils sind im Ms. und bei Furnivall als Lang|zeilen gegeben.
Über die häufige Behandlung der 7 Todsünden in der me. Litteratur gilt dasselbe, was oben bei den 10 Geboten bemerkt ist. Ich lasse auch hier die Prosabearbeitungen bei|seite und beschränke mich auf die metrischen Fassungen, welche allein überliefert sind oder sich als selbständige Gedichte ab|scheiden lassen.
- 1.
- Ms. Galba E IX (auch in Ms. Rawl. Poetry 225), entsprechend Vers 27524-28065 des Cursor Mundi und von Morris diesen parallel gedruckt. Das Stück des Cursor Mundi war nach
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- 2.
- Auch. Ms., ed. Kölbing, E. St. IX, 42.
- 3.
- Ms. Jesus Coll., Cambr., Q. Γ. 3, ed. Rel. Ant. I, 136 (cf. X C.); nach Ms. Ball. 354 (Oxford) ed. Flügel, Angl. XXVI, 224.
- 4.
- Ein Fragment aus Ms. Harl. 957, ed. Rel. Ant. I, 260.
- 5.
- Ms. Cambr. Ff. I, 6, ed. Furnivall, EETS. 15, p. 215.
- 6.
- W. Shoreham, ed. Konrath, EETS. Extra S. 86, p. 98 (cf. X C.).
- 7.
- Vgl. auch Handlyng Synne von R. of Brunne.
- 8.
- Vgl. ferner Dispute between a good man and the devil, Vernon M. P. I, 329 (EETS. 98).
- 9.
- Ms. Laud 463 (früher Laud 70), vou mir kopiert (cf. X C.).
- 10.
- Laud 416.
- 11.
- Ms. Cott. Tib. E VII (nicht in Harl. 4196); cf. Horstmann, Altengl. Leg. N. F. LXXVIII.
- 12.
- Ms. Arundel. 20 (cf. X C.).
- 13.
- Harl. 1706.
Wiederum ist die Version des Kildare-Ms. die älteste und mit keiner der anderen näher verwandt. Unter den Dichtungen des eigenen Ms. steht unser Fragment sachlich den 4 Predigt|gedichten sehr nah, einmal weil auch sonst in der me. Litteratur eine Bearbeitung der 7 Todsünden häufig mit einer solchen über die 10 Gebote Hand in Hand geht, wie bei den Versionen 3, 6, 7, 9, 10, 12, 13, andrerseits aber, weil der Charakter einer öffentlich gehaltenen Predigt auch hier unverkennbar ist.
Naturgemäß sind die Anzeichen besonders in der Einleitung zu erwarten, und hier findet sich in der Tat eine wahre Fülle von Hinweisen, welche an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen:
To dai me ȝiue gode beginninge Line 1, 4 Þe king of heuen to worþing And speken of is lore And þat ȝe hit mote vnderstonde, Line 2, 1 . . . þis predicacionne Mi leue frendis, ich ȝou biseche Line 6, 1 . . . Herkniþ to god is speche
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. . . To dai ich wol ȝou teche Line 6, 6 Þat pees þat is in god is huse Line 8, 1 To dai be amangis vse And to ȝou ȝiue gode lusting Line 8, 5 In þis silue place Mi leue frendis, ich wol ȝou tel, Line 9, 2 Nimiþ to me gome!
Diese Einleitung zu dem eigentlichen Thema ist wohl unzweideutig. Der Verfasser bezeichnet sein Werk selber als Predigt (predicacioune) und Gotteswort (god is speche), er erwähnt das Gotteshaus und bittet um gutes Gehör an "diesem selben Platze", er redet fortwährend seine Zuhörer (mi leue frendis) direkt an (ȝe, ȝou, ȝour) und bezieht sich dreimal auf den heutigen Tag (to dai), er will zu ihnen sprechen (tel, spek, teche) und mahnt sie zur Aufmerksamkeit (nimiþ to me gome).
Der zweite Teil enthält wenigstens Anreden wie man and womman 29, herkne nov leue broþer 42 und ähnlich 117, ferner leue breþerin, herkniþ now, and ich wol ȝou tel . . 105.
Was uns veranlaßt, die VII Sins von den 4 Reimpredigten zu trennen, sind zumal äußere Unterschiede. Zunächst sind die VII Sins nicht in dem charakteristischen Versmaße jener überliefert, der vierzeiligen Strophe von Kurzzeilen mit Kreuz|reim, sondern der die Einleitung bildende erste Teil ist in sechszeiligen Schweifreimstrophen abgefaßt, der zweite Teil, welcher die Ausführung geben sollte, aber bei der 3. Todsünde mitten im Text abbricht, enthält kurze Reimpaare von vier Takten, welche aber im Ms. als Langzeilen geschrieben und entsprechend von Furnivall abgedruckt sind. Ferner zeigen die Reime einige Abweichungen von dem Usus der 4 Predigt|gedichte und von dem Usus des Ms. im allgemeinen. Vielleicht liegt einfach Ungenauigkeit oder Flüchtigkeit vor, da der Dichter oder der Schreiber offenbar nicht die Zeit hatte, sein Werk zu vollenden; immerhin ist Vorsicht geboten und daher das Gedicht lieber für sich zu stellen. Auffallend ist: last Vb. (statt lēst): a, fele (statt fale): e, an Adv. (lies on?): bone, iworþe (lies iwerþe?): e, weniger beachtenswert, obgleich sonst nicht belegt ist schel (= schal): e, rest: fast. Auffallend ist ferner das häufige mid Prp. 1, 1; 21. 31. 67. 70. 78. 99. Sonst findet sich im Ms. regelmäßig wiþ, außer je einmal mid in
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XV S. und H.; þer midde Bir. Andrerseits fehlen zwar sicher beweisende Reime (wie apan, amang: a), doch erinnert der ganze Ton und Ausdruck, die Tendenz und der Wortschatz (meisse, mukke, pilt, a hori felle etc.) so sehr an die 4 Predigt|gedichte, daß wir vielleicht doch die Möglichkeit eines und desselben Verfassers festhalten können. Es wäre ja denkbar, daß ihm für VII Sins andere Vorlagen zu Gebote gestanden hätten, die er nach seiner Weise sehr frei benutzte oder um|arbeitete, die aber doch genügten, um Fremdkörper in sein Gedicht hineinzubringen. Für eigene Arbeit, nicht für bloßes Kopieren fremder Vorlagen, würde auch der Umstand sprechen, daß das Gedicht als Fragment überliefert ist, und zwar mitten auf der Seite abbricht; vgl. weiteres über die nicht vollendeten Dichtungen des Ms. unter Christ. Etwaige Vorlagen würden nur für den Hauptteil, die Darstellung der 7 Todsünden in Reimpaaren, in Betracht kommen, nicht für die in Schweif|reimstrophen abgefaßte Einleitung, die von den Fremdkörpern wenig oder gar nichts enthält. So würde sich auch der merk|würdige Wechsel des Versmaßes zwanglos erklären: der Dichter schickt seine eigenen einführenden Worte in der künstlicheren und ihm wohl gewählter erscheinenden Schweifreimstrophe voraus und fährt in dem typischen Versmaße derartiger me. Dichtungen, den kurzen Reimpaaren, fort, weil seine Vorlage in ihnen abgefaßt war. Vielleicht erklärt sich so eine wohl nicht bloß auf Zufall beruhende Differenz in den Anreden beider Teile: in der Einleitung heißt es zweimal mi leue frendis (ȝung and old, pouer and riche), in der Ausführung zweimal (im Reim) leue broþer, einmal leue breþerin. Die eigentlich gravierenden Fremdkörper fele (statt fale), last (statt lēst) finden sich nur im zweiten Teil, der andrerseits im Reime auslaut. -e ungetrübt zeigt (Teil I vnderstond Inf.: gond P. prs., Marie: amendi, geschrieben amendie).
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Hier bricht das Gedicht ab, der Rest der Seite im Ms. ist frei gelassen.
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IV. Christ on the cross. (Fragment.)
Gedruckt von Furnivall, EEP. p. 20.
Die Reimpaare des zweiten Teils sind im Ms. und bei Furnivall als Lang|zeilen wiedergegeben.
Das Leiden und Sterben Christi am Kreuze ist ein Lieblings|gegenstand der religiösen Lyrik des Mittelalters, der auch in der me. Litteratur in den verschiedensten Formen auftritt: sei es als Gebet oder einfache Schilderung, sei es als Zwiegespräch der Jungfrau Maria mit ihrem göttlichen Sohne oder dem Heil. Bern|hard oder dem Kreuze selber, sei es endlich, daß der Gekreuzigte selber zu dem Menschen spricht. Letztere Form ist verhältnismäßig selten und liegt zuerst in unserem Gedichte (Teil II) vor.
Ferner 1. in einem der Poetical scraps des Ms. Harl. 2316, welche Wright, Rel. Ant. II, 119 abgedruckt hat, das zeitlich nicht weit von unserem Fragment entfernt sein dürfte, aber, wie schon ein Blick auf die Form zeigt, unabhängig von ihm ist. Manches in Ton und Inhalt erinnert sogar mehr an den ersten Teil unsres Fragmentes, der den blutigen Leichnam am Kreuze vorführt, obgleich Christus hier nicht selber sprechend auftritt.
2. Ebensowenig kann ich engere Beziehungen zu unserem Fragment in zwei Gedichten des Ms. Galba E IX nachweisen, gedruckt von Horstmann: R. R. de Hampole II, 457 (auch ent|halten in Ms. Rawl. Poetry 175 der Bodleiana). Beide sind in der sechszeiligen Schweifreimstrophe abgefaßt, die Hss. sind nordenglisch und gehören dem 14. Jahrhundert an.
3. Ebenso stehen zwei Gedichte des Ms. Cambr. D d V, 64 (gedruckt R. R. de Hampole I, 71), das erste in Reimpaaren, das zweite ganz kurze in der Schweifreimstrophe.
- 1.
- Ms. Add. 31042.
- 2.
- Ms. Arundel 507.
Inhaltlich haben natürlich alle diese Fassungen viel Ge|meinsames. Sachlich schließen sich noch andere Gedichte an, in welchen nicht mehr zu erkennen ist, daß Christus seine Mahnungen und Erinnerungen mitten aus der Kreuzesqual heraus an den Menschen richtet. So zunächst das in zahlreichen Hss.
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vorliegende Testament Christi (gedruckt u. a. Vernon M. P. p. 637), das ausführlichste von allen derartigen Gedichten, das auch durch seine Reimpaare an unser Fragment erinnert. Ferner A luytel tretys of loue in Vierzeilen mit durchgehendem Reim (gedruckt Vernon M. P. p. 462) und das Gedicht des Franziskanerpredigers William Herebert mit dem Refrain: My volk, what habbe y do the (gedruckt Rel. Ant. II, 225). Endlich begegnet noch ein spätme. Refraingedicht Why art thou froward, syth I am merciable) in Lambeth Ms. 306, ed. Furnivall, EETS. 15, p. 111, das sich unter der Überschrift: Quinque vulnera auch in Ms. Cott. Caligula A II, fol. 134 b findet. — Am volkstümlichsten von allen aber ist Skelton's schönes Lied "Woffully araid" geworden durch Text wie durch Komposition, das uns aus dem Me. in die neuere Zeit hinüberleitet.
Unser Fragment zerfällt in zwei Teile von verschiedener Situation und verschiedenem Versmaß. Ob ähnlich wie bei VII S. die Möglichkeit einer teilweisen Vorlage besteht, die von unserem Dichter in abweichender Form erweitert wurde, wage ich nicht zu entscheiden. Hier würde eine event. Vorlage natürlich für den ersten Teil in Betracht kommen, der zweite unvollendete die Erweiterung darstellen. Der zweite Teil in gewöhnlichen kurzen Reimpaaren weist weder Reste von Alliteration noch ungewöhnliche oder widerspruchsvolle Er|scheinungen auf, er stellt einfach die nicht vollendete Aus|arbeitung des lat. Textes dar. Dem ersten Teil aber haben offenbar ursprünglich germanische alliterierende Langzeilen zu Grunde gelegen. Der vierhebige Rhythmus ist z. B. in Vers 2, 6, 7, 13 noch völlig erhalten und auch die anderen Verse lassen sich meist darauf zurückführen, wenn sie auch unter der Hand eines Überarbeiters z. T. 6- oder 7-taktig geworden sein mögen. Auch die Alliteration kann ursprünglich in viel weiterem Umfange geherrscht haben und z. T. hier und da ver|stümmelt worden sein. Man vergegenwärtige sich nun, daß sowohl der volkstümliche germanische Rhythmus der vier|hebigen Langzeile als auch die Anwendung der Alliteration in größerem Maßstabe, d. h. nicht bloß als gelegentlicher Schmuck, den echten Kildare-Gedichten fremd ist, zumal den religiösen Dichtungen des Ms., welche ganz und gar der Kunst|poesie angehören. Welche Umwandlungen der volkstümliehe germanische Vers in von außen eingedrungenen Dichtungen in
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unserem Ms. erleidet, kann man sehr deutlich an Elde und Erþe ersehen, wo die fremde Vorlage durch Fremdkörper in Schreibung und Reim nachweisbar ist. Der 1. Teil unsres Gedichtes weist solche Fremdkörper nicht auf, hat aber andrer|seits auch keine charakteristischen Kildare-Reime; nur die eigentümliche metrische Form legt auch hier den Gedanken an Beeinflußung durch alte volkstümliche Dichtungen nahe, wie sie ein derartiger Gegenstand zu jener Zeit sicherlich schon hervorgerufen hatte. Schipper, Engl. Metrik I, 179 hält den Rhythmus der Langzeile von vier Hebungen für vorherrschend, gibt aber zu, daß sich die meisten Verse auch ungezwungen als Alexandriner lesen lassen, worauf der Reim hinweise. Die Berührungen der Alexandriner und Septenare des ersten Teiles mit der nationalen Langzeile, sowie der Übergang zu kurzen Reimpaaren von vier Takten erinnern an das ältere Gedicht "A lutel soth sermun", cf. Schipper I, 169.
Der wohllautende und feierliche Vers des ersten Teiles hat jedenfalls etwas Unregelmäßiges, ja Ungewöhnliches an sich, schmiegt sich aber an den ernsten und hochpoetischen Inhalt vortrefflich an. Der Mensch wird gemahnt den Blick empor zu richten zu dem am Kreuze hängenden Heiland. Glied auf Glied des Gemarterten wird ihm mit greifbarer Anschau|lichkeit vorgeführt, von dem dornenumwundenen Haupte, der bespieenen Haut, der blutigen Seite bis herab zu Nägeln und Zehen, und der Eindruck wird abgeschlossen und zusammen|gefaßt mit den Worten:
Schau ihn oben, schau ihn unten, wie er liegt ist gleich; Überall du findest ihn blutig oder bleich.
Unvermittelt geht das Gedicht in den zweiten Teil über, in welchem Christus sich selber an den Menschen wendet, so unvermittelt, daß selbst die Langzeile noch mit zwei Versen hinübergreift, ehe die leichtflüssigen, aber auch viel weniger wirkungsvollen kurzen Reimpaare beginnen.
Vor jedem Abschnitte des englischen Gedichtes finden sich die betreffenden Gedanken in lat. Prosa ausgedrückt, die, wie eine Überschrift besagt, nach Augustinus zusammengestellt ist. Der Dichter hat uns gewissermaßen seinen Entwurf oder seine Disposition bewahrt, die er in englische Verse umgesetzt hat. Fertig ist er damit allerdings nicht geworden, denn dem letzten
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und umfangreichsten lat. Passus, der übrigens von Furnivall weggelassen ist, folgen die zugehörigen englischen Verse nicht mehr, sondern der Rest der betreffenden Seite ist frei gelassen. Mitten in der Arbeit brach also der Dichter ab, denn selbstverständlich konnte es nicht seine Absicht sein mit den flüchtigen lat. Notizen, die nur für ihn selbst Wert hatten, zu schließen. Unwillkürlich werden wir an das Gedicht von den 7 Todsünden erinnert, das einen ähnlichen Wechsel im Versmaß zeigt und genau ebenso mitten im Text und mitten auf der Seite abbricht. War das die Schuld des Dichters oder des Schreibers? Die Hände in beiden Gedichten scheinen ver|schieden zu sein. Hätten wir es aber auch mit einem und demselben Schreiber zu tun, so ist es doch unwahrscheinlich, daß sich zweimal dasselbe Spiel bei ihm wiederholt hätte. An sich viel natürlicher ist es, daß wir einen und denselben Dichter vor uns haben, der leicht einer Arbeit müde wurde oder die menschliche Schwäche besaß, eine neue Arbeit zu beginnen, ehe er die alte vollendet.
Respice in faciem Christi tui etc. Augustinus. [folio 28]
Pendens nudatum [Ms. mdatū] pectus, rubet sanguineum latus, regia pallent ora, decora languent lumina, crura pendent marmorea, rigat terebratos [Ms. terre beatos] pedes sanguinis unda. De istis auctoritatibus anglicum.
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Das Folgende ist bei Furnivall nicht mit abgedruckt:
Preparandum est cor hominis tamquam domus ad magnum hospitem suscipiendum, Christum sanctum dominum. Ipse est enim tamquam uir uagus super terram declinans ad manendum. Jeremie .IX.: "cuius delicie sunt esse cum filiis hominum," ut dicitur prouerbio: "qui in tuo negocio tantum laborauit, in hospicio cordis tui lassatus et wlneratus requiescere querit", dicens per Ysaiam: "hec requies mea, reficite lassum." Lassum ergo Christum tuum refice, ut in te locum refeccionis et quietis inueniat, qui in te et a te tanti causas laboris accepit. "Laborem [folio 29] mihi prebuistis in iniquitatibus," [Vielleicht ist anders zu interpungieren] ) Benedictus dicit ipse per Ysaiam. [Vielleicht ist anders zu interpungieren] Quis pugilem suum de uictoria redeuntem gloriosum, asperum, sanguine liuidum, fessum, wlneratum in domo sua gratanter non reciperet et cum honore non occurreret? Huius gracia ciues angelici non immemores, quos eciam non appre|hendit, sicut dicit apostolus, i. e. quorum naturam non assumpsit. Cum gloria ascendenti occurrerunt dicentes in Ysaya: "Quis est iste, qui uenit de Edom etc., iste formosus in stola sua?" Ve ergo tibi, si ipse possit tibi improperare illud euangelii: "Hospes fui et non collegistis me." Attende ergo, quod in tribus consistit preparacio hospicii cordis tui: primo, ut mundetur, 2. ut ornetur. 3o ut per te custodiantur. Munda ergo hospicium cordis tui, si uis Christum hospitem habere, quod fit per timorem, qui expellit et eicit peccata tamquam immundicias cordis, quia, sicut dicitur in Ecclesiastico: "Timor domini expellit peccatum per scopam confessionis etc.," et non tantum domus cordis a squaloribus uiciorum mundanda est, sed eciam floribus uirtutum adornanda, vt humilitate fulgeat, castitate candeat, paciencia rutilet, caritate resplendeat....
Hier bricht das Fragment ab, der Rest der Seite im Ms. ist frei gelassen, doch steht darunter in anderer Tinte und späterer Handschrift, aber ganz verwischt und unleserlich:
Iste liber pertinet ad Ih...
Waterford...
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V. A song on the times. (Tierf.)
Gedruckt von T. Wright, Polit. Songs. p. 195 (Camden Soc. 1839); die neue Auflage 1884, revised by E. Goldsmid (cf. III p. 47) ist nicht be|rücksichtigt, da der Text sicherlich nicht besser geworden ist.
Das Lied ist abgefaßt in viertaktigen kreuzweise gereimten Versen, die anfangs zu achtzeiligen Strophen mit der Reim|stellung abababab verbunden sind, dann aber in vierzeilige übergehen, wie durch die Reime und durch die Initialen des Ms. bewiesen wird. Der Gleichmäßigkeit halber und Wright's Vorbild folgend habe ich trotzdem achtzeilige Strophen durch das ganze Gedicht hindurch gedruckt. Tatsächlich — wenn auch nicht äußerlich ausgedrückt — stimmt demnach der Vers|bau unsres Liedes von der dritten Strophe ab völlig mit dem der Predigtgedichte überein, mit denen es außerdem noch durch den auffälligen Umstand eng verknüpft wird, daß sich Strophe 21, 5-22, 8 fast wörtlich in Vers 157-168 des Sar. wieder|findet und die vier Schlußverse ebenso in Sar. 181-185. Es erhebt sich die schwer zu beantwortende Frage: hat der nämliche Dichter sich hier wiederholt oder liegt einfach Entlehnung vor? Eine Entlehnung so grober Art wäre allerdings ein geistiges Armutszeugnis, das mir weder der Verfasser des einen, noch der des anderen zu verdienen scheint. Berührungen, aber nicht direkte Entlehnung, zeigt unser Lied auch mit dem sicher auf fremder Vorlage beruhenden Gedichte über Erde im ersten Teile der 21. Strophe. Etwas auffällig ist m. e. der ganze Schluß des Liedes, der sich von dem eigentlichen Thema ziemlich un|motiviert zu den uns aus H. und Sar. sattsam bekannten Er|mahnungen an den Reichen wendet. Den wirklichen Gegen|stand des Gedichtes bildet die Klage über die herrschende Rechtlosigkeit und Anarchie, die den kleinen Mann zu Boden drückt, während Schurken und Diebe sehr wohl ihre Rechnung zu finden wissen. Zur Verdeutlichung wird die Tierfabel heran|gezogen, die uns in der me. Literatur sonst nicht gerade häufig begegnet. Wolf und Fuchs, die beiden Übeltäter, gehen vor dem Gericht des Löwen straffrei aus, der dumme Esel, der sich auf seine gute Sache verläßt, muß elend zu Grunde gehen,
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weil der Tiere König wie die Machthaber der Zeit die Ge|schenke der einen höher einschätzte, als die Ehrlichkeit des andern. Das Gedicht ist allgemein gehalten; da es die Klagen des kleinen Mannes wiedergibt, sind direkte Anspielungen auf bedeutende politische Ereignisse oder Persönlichkeiten auch nicht zu erwarten. Zustände, wie die hier geschilderten, sind eben keiner Zeit ganz fremd, im Mittelalter waren sie überall mehr oder weniger vorhanden, in Irland aber in höchstem Grade ausgebildet und dauernd herrschend. Das unglückliche Land war nicht allein zerrissen durch den Kampf zweier Rassen, sondern ebenso sehr durch das Treiben der großen anglo|normannischen Feudalherren, denen hier nicht wie in England die Faust des Königs im Nacken saß. Sich selbst überlassen schalteten und walteten sie nach Belieben, ernannten Barone und Ritter, übten Gerichtsbarkeit in ihrem Gebiet, führten Krieg miteinander und den eingeborenen irischen Fürsten, die das Recht ihres Volkes sicherlich mehr achteten, als jene den Willen des Vizekönigs, der den stets abwesenden Herrscher vertrat. Was konnte anders entstehen als grauenhafte Anarchie mit Korruption, Unterdrückung und Bürgerkrieg, und um diese in ihrem ganzen Umfange, um die drei Brüder Coveitise, Pride and Onde handelt es sich in dem Gedichte, nicht bloß um mangelhafte Justiz, wie man nach der eingeflochtenen Tierfabel annehmen möchte (cf. auch Wülcker: Gesch. d. engl. Litt., S. 87). Es ist bezeichnend, daß nicht der ferne Herrscher als Retter aus der Not angerufen wird, sondern die Macht der Kirche und des Landes Recht. Der König wird nicht einmal erwähnt, über þe king is ministris aber ergießt sich der Zorn des Dichters, ebenso wie über die Feudalherren, in denen er nur ein Hindernis erblickt (cf. 1, 7 Men þat beþ in heiiȝist liue Mest icharged beþ wiþ sinne; 3, 8 For lordingen boste þat beþ aboue). Eine agrarische Frage spielt offenbar hinein; oft genug mochten die abenteuernden fremden Söldner (hoblurs) im Dienste der Barone den eingesessenen englischen Kolonisten unter irgend welchen Gründen seines Rechtes auf Grund und Boden berauben (? þat husbond benimeþ eri of lond), ohne daß der Schutz des Ge|richtsherrn zu erlangen war, und hier findet der Dichter den schärfsten Ausdruck: die soll man nicht wie Christen kirchlich begraben, sondern verscharren wie Hunde. Anscheinend spielt hier schon der immer schärfer hervortretende Gegensatz zwischen
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den "English by blood" und den "English by birth", den Alt|eingesessenen und den Neuherüberkommenden, der im Jahre 1338 in offene Fehde ausbrach; cf. Cusack p. 594.
Es ist bezeichnend, daß ein Gedicht, welches soviel Anteil nimmt an den Leiden des unterdrückten kleinen Mannes und des in seinen Besitzrechten gestörten Bauern, gerade in unsrem Franziskaner-Ms. auftritt. Es paßt dies durchaus zu der Richtung, welche den Franziskanerorden auf der Höhe seiner Wirksamkeit um die Wende des 13. Jahrhunderts kennzeichnet. Sein Wir|kungsfeld suchte er in erster Linie in den untersten Klassen des Volkes, denen kein anderer Mönchsorden je so nahe ge|treten ist wie dieser. Überall und zumal in Irland finden wir seine einfachen Klöster in den Vorstädten und den armseligsten Stadtteilen, oft auf sumpfigem, wenig einladendem Boden und unter der Hefe der Bevölkerung. Die Predigtgedichte und die Hymne des Michael Kildare weisen ganz dasselbe warme Gefühl für das niedere Volk auf und werden nicht müde, mit eindring|lichen Worten die Sache des Armen vor dem reichen Manne zu führen.
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VI. Nego.
Gedruckt von T. Wright, Polit. Sougs, p. 210 (Camden Soc. 1839); die neue Auflage 1884 revised by E. Goldsmid (cf. III p. 63) ist nicht berücksichtigt.
Das in kurzen Reimpaaren abgefaßte Gedicht eifert gegen dialektische Künste und Kniffe, durch welche die einfache Wahrheit verdreht (iwend on afte) und gehindert wird. Ab|streiten, Ausweichen, Nichtanerkennen waren damals wie heute die Mittel, durch welche von der schulgemäßen Rhetorik die Wahrheit unterdrückt wird. Auch heute noch sind die un|fruchtbaren Diskussionen nicht ausgestorben, bei denen der eine alles rundweg bestreitet, der zweite zweifelt, der dritte schon zugiebt und der vierte zwingende Gründe hat oder zu haben meint, Diskussionen, bei denen schließlich der klare Unterschied zwischen Wahr und Falsch schwindet, aus Recht Unrecht wird und umgekehrt. "Ihr falschen Klügler, all Treu und Glauben — des Menschen Bestes — wollt ihr ihm rauben" so ruft der Verfasser zum Schluß aus, in dem wir wohl wiederum ein Mitglied des volkstümlichen Franziskanerordens vermuten dürfen.
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Gedichte verschiedenen Inhalts.
VII. The land of Cokaygne.
Abgedruckt Hickes, Thesaurus I, 231; Ellis, Specimens (1811) I 82; Th. Wright, Altdeutsche Blätter I 396; Furnivall, Early English Poems and Lives of Saints p. 156; Mätzner, Altenglische Sprachproben I 147; vgl. Poeschel, Das Märchen vom Schlaraffenland, Beit. z. Gesch. d. deutschen Spr. u. L. V 389.
Den Inhalt des Gedichtes bildet die weitverbreitete Sage von dem Wunderlande, das in der deutschen Dichtung Schla|raffen- oder Schlauraffenland genannt wird, während es in der französischen Cocaygne, Pays de Cocaygne und entsprechend im Italienischen Cuccagna heißst. Der Name unseres englischen ebenso wie der des mittelniederdeutschen Gedichtes: Van dat edele Lant van Cockaenghen (ed. Altdeutsche Blätter I p. 165) weist somit auf eine französische Quelle. Eine französische Fassung, welche allerdings von der unsrigen stark abweicht, findet sich gedruckt bei Barbazan, Fabliaux et contes, IV 175. Auch die Beziehungen unseres Gedichtes zu dem oben erwähnten mittelniederländischen aus dem 15. Jahrhundert, auf welche Mätzner hinweist, sind nicht sehr eng. Die Quelle ist somit in einer verloren gegangenen französischen Fassung zu suchen. Ob dieselbe allerdings die satirische Schilderung des Klosters enthielt, welche in dem englischen Gedicht einen so breiten Raum einnimmt und welche Mätzner in dem erhaltenen franz. Fabliau vermißt, ist mir mehr als zweifelhaft. Die Kloster|Schilderung ist offenbar der eigentlichen Sage ganz fremd und sieht ganz aus wie die spätere Zutat eines mönchischen Über|arbeiters. Es liegt kein Grund vor, diese Zutat bereits der
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franz. Quelle zuzuschreiben, sondern es ist durchaus denkbar — und gewichtige Anzeichen sprechen dafür — daß wir es hier mit dem ganz persönlichen Eigentum des englischen Dichters oder Umdichters zu tun haben.
heißt es: Line V. 51 Þer is a wel fair abbei Of white monkes aud of grei An oþer abbei is þerbi, Line V. 147 For soþ a gret fair nunnerie And snellich berriþ forþ har prei Line V. 163 To þe mochil grei abbei.
Hier scheinen ganz bestimmte lokale Anspielungen vor|zuliegen, denn die mutmaßliche Heimat des Ms. war die Gray Abbey zu Kildare, die Übereinstimmung der Namen ist also ganz auffällig. Will man etwa annehmen, daß jedes beliebige Franziskanerkloster als "Gray Abbey" bezeichnet werden konnte? Bei Archdall finde ich kein anderes Franziskaner|kloster in Irland je mit dem Namen belegt, als gerade dieses eine, für welches er ständig ist. Das einzige Mal, wo er sonst noch auftritt, in The Gray Abbey, County of Down, be|zeichneter ein Cistercienserkloster, das vor der Franziskanerzeit gegründet ist. Ferner ist in unserem Gedichte nicht von Franziskanern allein die Rede, sondern von White monkes, also Karmelitern, neben ihnen. Es ist doch ein auffälliges Zusammentreffen, daß als Kildare's kirchliche Niederlassungen gerade ein von der Heil. Brigid selber gegründetes Nonnen|kloster als Teil der uralten Abtei, ein Karmeliter- und ein Franziskanerkloster historisch sicher überliefert sind, während das Gedicht von einer Nunnerie und einem beide Mönchsorden vereinigenden Kloster spricht.
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß ein in Kildare heimischer Dichter lokale Züge in das Märchen vom Schlaraffen|land verwoben hat, zumal die derbe Satire, mit welcher das Klosterleben geschildert wird, auch anderen Teilen des Ms. nicht fremd ist. Sie findet sich ebenso in der sogenannten Satire auf die Leute von Kildare, sie prägt sich vielleicht noch schärfer aus in einigen der lat. Stücke, wie "The Abbot
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of Gloucester's feast", die "Missa potatorum", die "Passio unius monachi", welche ganz artige Proben echter Goliardenlaune enthalten.
Für die selbständige Umarbeitung des überkommenen Stoffes spricht auch der Umstand, daß manche charakteristische Züge der Sage unsrem Gedichte fehlen, z. B. das Jungbaden, welches schon in dem afrz. Fabliau auftritt und noch bei Hans Sachs wiederkehrt. Andrerseits ist der Schluß des englischen Gedichtes, daß man 7 Jahre lang in Schweinemist waten müsse, um in das gelobte Land zu kommen, der eigentlichen Sage ganz fremd. Haupt weist Altdeutsche Blätter I 401 darauf hin, daß diese Bedingungen denjenigen ähneln, unter welchen das deutsche Märchen den Bärenhäuter zu Reichtum und Glück kommen läßt. Beachtenswert ist, daß sich unter den afranz. Stücken des etwa gleichzeitigen Ms. Harl. 2253 die satirische Schilderung eines Mönchsorden findet, den der Dichter die charakteristischen Fehler aller zeitgenössischen Orden in sich vereinigen läßt. Der erste und wichtigste Punkt ist, daß die imaginäre neue Stiftung, vom Dichter L'ordre de Bel-Eyse genannt, Mönche und Nonnen unter einem Dache zusammen|leben läßt, wie es in der Abtei von Sempringham der Fall war; das Treiben der Mönche wird dann in einer Weise ge|schildert, welche vielfach an das Land of Cokaygne erinnert. Die wenig beachtete phantastische Dichtung ist gedruckt von Wright: Political Songs (Camden Soc. 1839), p. 137. —
Schreibung und Reim unseres englischen Gedichtes weisen fremde Elemente nicht auf; dagegen findet sich ein anglo|irisches Wort keltischen Ursprungs (russin) und eine genau in derselben Form in Sat. wiederkehrende Ausdrucksweise (-la, god it wot). Ich trage daher kein Bedenken, in dem Gedicht, in welchem Schreibung und Reim sich decken, ein echt anglo-irisches, wahrscheinlich in Kildare selber entstandenes Denkmal zu sehen. —
Das sehr glücklich gewählte Versmaß zeigt paarweise gereimte Kurzzeilen von 4 Takten mit vorwiegend trochäischem Rhythmus, wie auch das franz. Fabliau in kurzen Reimpaaren abgefaßt ist. Den frisch und flott hinfließenden Versen ent|spricht die muntere, knappe Art der Schilderung, welche den Ton der Sage vortrefflich trifft. Die moralische und didak|tische Tendenz, welche in späteren kontinentalen Versionen
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zu Tage tritt, fehlt ganz, aber von der naiven Freude am Komisch-Wunderbaren, welche diesen Märchenstoff seit seinem ersten Auftauchen in der indischen Sage und der griechischen Dichtung kennzeichnet, ist ein gutes Stück vorhanden. Selbst die übermütige Satire auf Mönche und Nonnen, die erst der englische Dichter hineingeflochten hat, wirkt in dieser Um|gebung von erdachten Wunderbarkeiten und ergötzlichen Un|möglichkeiten weniger abstoßend. Sie ist jedenfalls bezeichnend für das Milieu, in dem der Verfasser lebte und wirkte und das ihn auch beim Dichten nicht losließ. Er war wohl ein Mitglied des geistlichen Standes, ein Goliarde oder fahrender Schüler, der mit kühnem Sprunge seinen eigenen Interessenkreis und zugleich den der Zuhörer in den heiteren Märchenstoff hinein|trug, so wenig er dort auch hineingehörte. Man bedenke, daß von 190 Versen nur 50 auf den überlieferten Stoff entfallen und der ganze Rest, also fast dreimal soviel, der Schilderung des Klosterlebens gewidmet wird. Direkt im Anschluß an die ausgemalten Genüsse desselben wünscht der Dichter seinen Zuhörern, daß auch sie in dies gelobte Land kommen möchten, die auferlegte Bedingung wird als penance bezeichnet, das Ganze mit: Amcn pur seint charite geschlossen. Das sieht nicht aus wie der Vortrag eines Spielmanns. Für einen Spiel|mann scheinen mir auch die bei der Aufzählung der Gewürze und der edlen Steine gebrauchten Wörter reichlich gelehrt. Zwar werden die Zuhörer scherzhaft mit Lordinges angeredet, doch von einem Spielmann, der vor edlen Herren vom Schlaraffen|land sang, hätte man selbst in dem klösterreichen Kildare etwas anderes verlangt, als die Ausnutzung von Gegenstand und Gelegenheit zu einer Satire gegen das Mönchswesen. Diese Satire aber, die der Spielmannsdichtung ferner lag, war der immer wiederkehrende Gegenstand der Goliardendichtung im 14. Jahrhundert und steht, wie oben bemerkt, in enger Beziehung zu anderen Stücken unseres Ms., deren Herkunft nicht zweifel|haft sein kann. Es scheint mir nicht nötig anzunehmen, daß das Gedicht tatsächliche Übelstände wiederspiegelte und geißeln wollte. Unser Ms. fällt noch in die aufsteigende Linie der Franziskanerbewegung und nicht in den Niedergang, der sich im Laufe des 14. Jahrhunderts vollzog. Ich kann die Ein|leitung nicht besser schließen als mit der Bemerkung Dr. Furnivall's (E. E. P. Preface IV), der das Gedicht
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bezeichnet als: the airiest and cleverest piece of satire in the whole range of Early English, if not of English, poetry. Die Worte mögen zu weit gehen in ihrer Wertschätzung, aber sie sind bezeichnend dafür, in welchem Sinne man die muntere Fabulistik des Verfassers betrachten muß und wie sie in seiner eigenen derben Zeit vermutlich anch betrachtet worden ist.
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VIII. Satire (on the people of Kildare).
Ed. Wright, Rel. Ant. II, p. 174; Furn. EEP., p. 152.
Es macht große Schwierigkeiten, einen kurzen und sach|gemäßen Titel für das Gedicht zu finden. Ich habe mich vor|läufig dazu entschließen müssen, den überlieferten Titel bei|zubehalten, obgleich er sich anscheinend mit den Tatsachen nicht vereinen läßt.
Der eingeklammerte Titel stammt von T. Wright und ist nach ihm allgemein üblich geworden und in die Literatur|geschichte übergegangen. Furnivall wählte die aus der Schluß|strophe entnommenen Worte: Of men þat woniþ in lond, fügte aber darunter in kleinerem Drucke den Wright'schen Titel hinzu. Im Ms. selber fehlt jede Überschrift.
Leider nennt das Gedicht den Ort nicht, gegen dessen Mönche und Nonnen, Kaufleute und Handwerker sich seine Satire, die selbst die Heiligen nicht schont, richtet. Es fehlt somit auch ein direkter Hinweis auf Kildare; nur der Umstand, daß Wright das Gedicht Michael of Kyldare zuschrieb, der sich als Verfasser eines anderen Gedichtes unseres Ms. nennt, kann ihn zu der prüfungslosen Annahme des obigen Titels bewogen haben.
Sicher ist nur soviel, daß wir an eine irische Stadt zu denken haben, weil auf das Haus der White Friars zu
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Drogheda in Str. 6 hingewiesen wird, sicher auch, daß ganz be|stimmte lokale Anspielungen vorliegen, nicht etwa eine Satire gegen Mönche und Bürger im allgemeinen, denn das Nonnen|kloster wird direkt mit Namen benannt (seint Mari house Str. 9). Für die Entstehung des Gedichtes auf irischem Boden spricht außerdem der Umstand, daß keinerlei fremde Elemente darin auftreten, wohl aber ein Wort keltisch-irischen Ursprungs in corrin (= pot, can, ir. cuirin). Im übrigen kann ich nicht verhehlen, daß es mir durchaus fraglich ist, ob sich die Satire wirklich gegen Kildare richtet.
Das Gedicht setzt doch eigentlich eine blühende und nicht allzu kleine Stadt voraus mit regem bürgerlichem und geistlichem Leben. Die kleine Landstadt Kildare war im Jahre 1294, also nicht lange vor der mutmaßlichen Entstehung des Gedichtes durch die Iren unter Calvagh genommen und anscheinend gründlich geplündert worden. Sollte sie wirklich kurz nach diesem Ereignis soviele kirchliche Niederlassungen besessen haben, ein so reich entwickeltes Bürgertum und sogar Kaufleute mit: gret packes of draperie, auoir-depeise, wol sackes, gold, siluer, stones, riche markes and ek pundes? Sollten wirklich Gilden existiert haben, nicht allein von Bäckern, Schustern und Schneidern, sondern auch von bre|westers, skinners, potters, hokesters und Wollkämmern? Wollte man aber auch diese Möglichkeit zugeben, so bleiben doch noch direkte Anspielungen übrig, die für Kildare nicht unter|zubringen sind. Nach der Vorführung der Heiligen kommen die Friars, die verschiedenen Orden der Bettelmönche, an die Reihe. Nicht erwähnt werden auffallenderweise die Gray Friars, was sich wohl verstehen ließe, wenn der Verfasser in Beziehung zu ihnen stand oder selber ein Franziskaner war, der seine Spitzen lieber gegen andere Orden als gegen den eigenen richtete. Er beginnt mit den "freris wiþ þe white copis", also den White Friars oder Karmelitern, welche in der Tat eine nicht unbedeutende, schon 1227 gegründete Niederlassung in Drogheda besaßen (cf. Archdall p. 455), auf welche das Gedicht anspielt. Sehr schlecht kommen weg die "gilmins wiþ [þe] blake gunes", die als "menur wiþoute and prechur wiþinne" charakterisiert werden, also als ein Mittelding zwischen den beiden Bettelorden der Minoriten (Franziskaner) und Prädikanten (Dominikaner), die — doch
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wohl im Gegensatz zu ihrer eigentlichen Bestimmung — die Wildnis verlassen und die Städte aufsuchen. Alles dies scheint mir auf den Bettelorden der Eremite or Austin Friars (Fratres Eremitae ordinis St. Augustini) mit ihren schwarzen Kutten zu passen, die von Franziskanern und Dominikanern heftig genug befehdet werden mochten. [Kaum ist wohl an die Cölestiner-Eremiten zu denken, die sich am Schlusse des 13. Jahrhunderts als strengere Richtung von den Franzis|kanern abzweigten, aber vielfach verfolgt und früh unterdrückt wurden. Ich kann weder nachweisen, daß sie "blake gunes" trugen, noch daß sie überhaupt in Irland auftraten, was an und für sich ganz unwahr|scheinlich ist.] An die Dominikaner, die in England Black Friars heißen, ist natürlich bei der hier vorliegenden Art der Charakterisierung nicht zu denken. Ferner werden die Benediktiner, die "holi monkes", vor|genommen, dann die Nonnen von "St. Mari house" und endlich die Prestis. Demgegenüber hat Kildare nur aufzuweisen: ein Franziskanerkloster (Gray Abbey), ein Karmeliterkloster und die alte Abtei, welche zugleich ein Nonnenkloster umfaßte und in den Besitz der Regular Canons of St. Augustine (nicht der Eremite or Austin Friars) übergegangen war; die Ency|clopaedia Britannica (1882) erwähnt allerdings die Ruinen von vier Klöstern in Kildare, doch fallen die vielfach unklaren und widerspruchsvollen Angaben der verschiedenen Nach|schlagewerke Archdall gegenüber kaum ins Gewicht. Es würde auch nichts ausmachen, auch vier Klöster scheinen sich mit den in Sat. geschilderten Verhältnissen nicht zu decken. Nicht genug, daß wir weder eine Niederlassung der Benedik|tiner noch der Augustiner-Eremiten in Kildare belegen können — für das tatsächlich vorhandene Nonnenkloster, über das bei Archdall fortlaufende Nachrichten seit der Gründung durch die heil. Brigid im fünften Jahrhundert bis 1649 (S. 322-329) zu finden sind, für diese altehrwürdige Stiftung, der gewiß in Kildare kein zweites Nonnenkloster zur Seite stand, findet sich kein einziges Mal der Name "St. Mary's".
Vielleicht dürfte uns die direkte Erwähnung der Nonnen von seint Mari house auf eine andere Spur führen. In den Nachbarstädten Waterford, Wexford, Ross, auch in dem schon von vornherein ausgeschlossenen Drogheda verzeichnet Arch|dall überhaupt kein Nonnenkloster; in Cork findet sich the
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Nunnery of St. John the Baptist. In Dublin aber gab es sogar zwei Nonnenklöster der heil. Maria, nämlich the Nunnery of St. Mary de Hogges und the Nunnery of St. Mary les Dames, von denen das erstere im zwölften Jahrhundert gegründet wurde, während die Gründungszeit des letzteren nicht zu er|sehen ist (cf. Archdall S. 172 und 173).
In dem blühenden Dublin befanden sich natürlich zahl|reiche geistliche Niederlassungen aller Art, Augustiner-Eremiten (Monastery of the Holy Trinity, gegründet 1259) und Bene|diktiner (Abbey of St. Mary) ebenso wie Karmeliter, Domini|kaner und Franziskaner. In Dublin gab es ein Kirchspiel des heil. Michael (cf. Str. 1: Hail seint Michel) und St. Jakobi (cf. Str. 3: Saint Mari bastard, þe Maudleinis sone). Von Dublin aus läßt sich auch die Erwähnung des Hauses der White Friars in Drogheda leichter verstehen, als für das weit entlegene Kildare. Befremden würde allerdings, wenn man Dublin in Betracht zieht, daß unter den verschiedenen Gewerben die Schiffer nicht erwähnt sind, doch könnten sie unter den zuerst genannten "marchans" mit inbegriffen sein. Wir werden vor der Hand die Frage nach dem Ort, welcher unserem Dichter den Gegenstand seiner Satire geliefert hat als eine offene betrachten müssen.
Die Satire des Verfassers, der bedeutende dichterische Kraft verrät, ist frei, kühn und derb. Sein Lied war so recht dazu geschaffen, bei fröhlichem Gelage vorgetragen zu werden und Stimmung zu erwecken. Die Mahnung des Dichters am Schlusse seines Vortrags: "Spekeþ now and gladieþ and drinkeþ al ȝur fille" wird ohne Zweifel ausgiebig befolgt worden sein. Daß er ein Clerk war, der beste der ganzen Stadt, der dies schöne Lied gemacht, wird eindringlich immer wieder in dem Abgesang eingeschärft. Die weiten Wanderungen des Dichters werden in der 1. Strophe erwähnt (þi uers . . . is of wel furre ybroȝt).
War er wirklich ein Spielmann, wie Brandl Grdr. II, 627 meint? Eher möchte ich an einen fahrenden Schüler, einen Goliarden denken, an eins jener Anhängsel des geistlichen Standes, wie sie im Mittelalter so häufig waren und für die Literatur in mehr als einer Hinsicht fruchtbar geworden sind. Unter den lat. Stücken des Ms. finden sich mehrfach
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Erzeugnisse, welche, wie die Missa potatorum oder The Abbot of Gloucester's feast alle die charakteristischen Züge der Go|liardenliteratur an sich tragen. Auch das Land of Cokaygne weist wohl auf dieselbe Spur. Verknüpfung des Dichters mit dem geistlichen Stande scheint mir jedenfalls hier wie dort vorzuliegen.
Kühn wie die Sprache ist der Versbau des Dichters, der in der ganzen me. Literatur seines gleichen nicht hat. Die Anregung hat ihm vielleicht die viel gebrauchte sechs|zeilige Strophe mit der Reimstellung a a a a b b gegeben, wie sie sich in Lullay oder Erþe findet. Was ist aber bei ihm daraus geworden? Vier Langzeilen, von denen nur die beiden ersten reimen, sind mit einem kurzen Reimpaar von demselben munteren Tonfall wie im Land of Cokaygne zu einer sechs|zeiligen Strophe verbunden, bei der sowohl der Wechsel von Reim und Reimlosigkeit frappiert, wie der Ubergang von dem vorwiegend germanischen Rhythmus der unregelmäßig gebauten Langzeilen zu dem gleichmäßigen Fall der viertaktigen Kurz|verse. Die Wirkung auf die zechende Zuhörerschaft muß eine drastische gewesen sein, denn zweckentsprechend waren die frei gebauten Langzeilen, die fast wie rhythmische Prosa anmuten, nicht minder als der glatt und regelmäßig fließende Schlußvers, in dem uns der Verfasser die eigene werte Person immer wieder vorführt.
Die Strophe ist natürlich ganz persönliches Eigentum unseres Verfassers und eigens für die Gelegenheit zurecht gemacht; Brandl's Ansicht, daß sie "an die französisch an|gehauchte Ballade auf die Schlacht bei Lewis erinnert," kann ich nicht teilen (cf. auch Schipper S. 314). —
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IX. Pers of Birmingham.
Die Ballade auf Peter von Birmingham besingt in volks|tümlich rohen Versen die Taten und den Tod dieses Vor|kämpfers der euglischen Ansiedler gegen die wilden Iren. Sein Tod erfolgte, wie alle historischen Zeugnisse überein|stimmend bekunden, im Jahre 1308, und darauf bezieht sich wohl auch das in anderer Tinte im Ms. (f. 50) übergeschriebene A. D. 1308. Der Todestag war nach unserem Liede der 20. April, vgl. dagegen Grace, Annales Hiberniae S. 50: 1308. Idibus April. obiit Petrus Bremingham; Chartularies of St. Mary's Abbey, Dublin II 336: A. D. 1308. Secundo idus Aprilis, obiit Dominus Petrus ...; ebenda II 281: 1308 Petrus de Brymingham in vigilia Pasche et sepultus cum Minoribus apud Kyldare. Das Hauptereignis, das mit Peter's Namen verknüpft war, ist die Ermordung der O'Connors von Offaly mit ihrem Gefolge in seinem Schlosse Carbury (County of Kildare) im Jahre 1305.
Cusack: History of the Irish nation S. 552 bemerkt darüber:
"The O'Connors of Offaly were for nearly two centuries the most heroic, and therefore the most dangerous of the "Irish enemies", Maurice O'Connor Faly and his brother, Calvagh, were the heads of the sept.... The chiefs of Offaly were invited to dinner on Trinity Sunday, A. D. 1305 (verdruckt
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1315) by Sir Pierce Mac Feorais (Peter Bermingham). As they rose up from table, they were cruelly massacred, one by one, with twenty-four of their followers. This black deed took place at Bermingham's own castle of Carbury, county Kildare. Bermingham was arraigned before King Edward, but no justice was ever obtained for that foul murder."
Die 'Annals of Ireland by the four masters' berichten zum Jahre 1305: O'Conor Faly (Murtough), Maelmora, his kinsman, and Calvagh O'Connor, with twenty-nine of the chiefs of his people, were slain etc. Diese Zahl weicht hier etwas von Cusack's Darstellung ab, der hier erwähnte Name Maelmora ist aber offenbar identisch mit dem Mac Mal More des zeit|genössischen englischen Gedichtes. Den Namen Gilboie habe ich nirgends erwähnt gefunden. Auch den Ortsnamen Totomoye gibt, soviel ich sehen kann, kein einziges Nachschlagewerk; ich kann ihn aber belegen aus einem Franziskanerverzeichnis in Clyn's Annalen S. 39: Ibernia habet custodias scilicet Dubli|nensem, que habet 7 loca, scilicet: Dubliniam, Kildariam, Clane, Totmoy, Desertum, Weysefordiam et Wykynlo etc: sowie ferner aus Grace S. 66: dein petivit Totmoy et Rathymegan (= Ra|thangan) et Kildare. Der Name ist nicht zu verwechseln mit Thomond, jetzt County of Clare, das in den alten Chroniken Tothomonia (ir. Tuathmumhan) heißt.
Die in Str. 13 erwähnten Genossen Peter's gehören den alten normannischen Adelsgeschlechtern an, die als große Barone mit fast unbeschränkter Macht in den englischen Teilen Irlands schalteten und zum Teil wie die Fitzgeralds schon mit Strongbow an der ersten Eroberung Teil genommen hatten. Die wichtigsten unter diesen Geschlechtern waren die De Burgos und die Fitzgeralds, deren fortwährende Fehden im Jahre 1298 endgültig beigelegt waren. Den ersteren gehörte "The Erl of Uluester" an, nämlich Richard de Burgo, Earl of Ulster, gewöhnlich "The Red Earl", genannt († 1326), den letzteren Sir Jon le Fiz Tomas, Baron von Offaly, der in Sage und Geschichte eine nicht unbedeutende Rolle spielt. An seinen Namen knüpft sich eine Version der Sage von dem Affen, der das Kind bei einer Feuersbrunst aus der Wiege nahm und auf einen Turm rettete, an seinen Namen der Streit mit William de Vescy, Lord of Kildare, der von ihm zum Zweikampf herausgefordert (1293), nach Frankreich auswich und seine
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Güter in Irland verlor. John Fitz Thomas Fitz Gerald focht dreimal in Schottland unter König Edward I und half 1315 die schottische Invasion in Irland zurücktreiben. Zum Dank für seine Dienste wurde er 1316 zum Earl of Kildare ernannt und starb bald darauf, begraben in der Gray Abbey zu Kildare. Im 14. Jahrhundert trennten sich die beiden Hauptzweige der Geraldines ab: die Earls of Kildare, jetzt Dukes of Leinster, und die Earls of Desmond. Neben dieser mächtigen Familie standen die vielfach mit ihnen verschwägerten Butlers und Berminghams. Sir Emond þe Botiler ist Edmund Butler, der Schwiegersohn des John Fitz Thomas, später Earl of Carrik und Lord Justice of Ireland, der 1315 die Schotten aus Kildare zurückschlug und 1321 starb.
Die englischen Besitzungen in Irland bestanden im Anfange des 14. Jahrhunderts aus den 5 Liberties und 10 counties rings um Dublin, darunter Dublin, Kildare, Waterford, Cork etc., welche später gewöhnlich "the English pale", genannt wurden. Die Liberties bildeten fast unabhängige Fürstentümer an den Grenzmarken mit besonderen Rechtsverhältnissen unter einzelnen vornehmen anglonormannischen Familien, z. B. in Connaught und Ulster unter den De Burgos, in Desmond unter den Fitz|geralds etc. cf. Cusack S. 549, 585 etc.
Das Lied von Sir Pers þe Brimingham ist in kunstlosen 6-zeiligen Schweifreimstrophen abgefaßt, eine Versart, die sich in den andern Gedichten des Ms. nur ein Mal wiederfindet. Bemerkenswert ist, daß alle Verse der Strophe 3-taktig sind, während sich sonst gewöhnlich Wechsel von 4 und 3 Takten zeigt (cf. Schipper, Engl. Metrik I 362). Inhalt, Gedankengang und Ausdruck verraten kein großes poëtisches Können und sehr geringe technische Fertigkeit. Das Ganze macht den Eindruck einer etwas holprigen Lokalballade, in der die grausame Freude der englischen Bevölkerung an dem verräte|rischen Verfahren des Sir Pers gegen die Eingeborenen zu recht naivem Ausdruck kommt.
Auffallend ist der Schlußvers: He þat þis sang let mak etc. War das Lied im Auftrage angefertigt, etwa eines der großen Barone, so ist es auffallend, daß in Verbindung mit dem Auftraggeber der heimgebrachte Ablaß erwähnt wird. Einfacher wäre es "let mak" in "did mak" zu ändern, und in dem Verfasser einen weit gewanderten fahrenden Schüler oder
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Geistlichen zu sehen, der selber den Ablaß mitgebracht hätte.
Wie schon der Stoff vermuten läßt, haben wir in dem Gedichte ein echt anglo-irisches Erzeugnis zu sehen, das in Schreibung und Reim keinerlei fremde Elemente enthält. —
gedr. von Ritson 'Ancient Songs and Carols' p. 60
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X. A Rhyme-beginning Fragment.
Gedruckt von Furnivall, EEP. p. 21; auch bei Schipper, Engl. Metrik I, 317.
Das kleine Gedicht hat als ein Unikum in metrischer Hinsicht schon früh Aufmerksamkeit erregt, wie aus Furnivall's Einleitung zu den EEP. hervorgeht, und hat aus diesem Grunde auch die Ehre genossen, von Schipper vollständig ab|gedruckt zu werden. Seine Eigenart besteht darin, daß das letzte Wort jedes Verses als erstes Wort des folgenden Verses wiederkehrt; es enthält also die Verkettung in weitgehendster, schwierigster Form, bei welcher allerdings Sinn und Inhalt durch die fortwährende Wiederholung bestimmter Wörter und Reime in ein Zwangsbett gespannt werden. Das kleine metrische Kunststück — denn unter diesem Gesichtspunkte ist es zu betrachten — ist eine Weiterführung der natürlicheren und für den Inhalt weniger hemmenden Verkettung von Strophe zu Strophe, die in der me. Literatur mehrfach zu formvollendeten Dichtungen geführt hat und eine Nach|ahmung französischer, in letzter Linie provenzalischer Vor|bilder ist. Daß französischer Einfluß auch die gekünstelte Form in unserem Gedichte hervorgerufen hat, ist von vorn|herein anzunehmen, obgleich nur die provenzalische Poesie, die eigentliche Mutter aller dieser Reimkünsteleien, direkte Seitenstücke aufzuweisen hat. Unwillkürlich werden wir an die beiden alliterierenden altfranz. Strophen auf fol. 15 b des Ms. erinnert (gedruckt Rel. Ant. II, p. 256), welche ebenfalls nur auf ein klangvolles Spiel mit Worten hinauslaufen, wenn auch in anderer Weise. Eine derselben wird als "Proverbia comitis Desmonie" bezeichnet. Nach französischen Vorbildern brauchte ein irischer Dichter also nicht lange zu suchen, er fand sie in nächster Nähe bei dem eigenen anglonormannischen Adel, bei dem Grafen von Desmond, der von den Zeitgenossen der "Rymour" genannt wurde.
Unser sogenanntes "Fragment" bildet nur eine einzige zwölfzeilige Strophe, mit der Reimstellung ababababcdcd, wie sie auch sonst bei Kreuzreimgedichten nicht selten ist. Formell wie inhaltlich haben wir ein in sich abgerundetes und abge|schlossenes Ganzes vor uns. Ob es in der Absicht des Dichters
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lag, das Gedicht mit seiner verwickelten Technik noch weiter zu spinnen, ob wir also überhaupt das Recht haben, dasselbe als Fragment zu bezeichnen, wissen wir nicht. Es nimmt nur einen Teil der Seite im Ms. ein und der Rest ist freigelassen, aber das beweist nur, daß nichts verloren gegangen ist; es enthält kein den Schluß bezeichnendes Wort, wie explicit (amen war wohl hier nicht zu erwarten), aber dasselbe ist auch sonst der Fall, z. B. bei Nego. Auch die beiden oben erwähnten altfranz. Gedichte enthalten nur je eine kurze Strophe. Und schließlich, ist Kürze nicht geradezu geboten für derartige technische Spielereien, bei denen der Inhalt vor der künstlichen Form gänzlich zurücktritt?
Das Gedicht enthält keine fremden Elemente in Schreibung und Reim, da ar Sb. 11 und Adv. 12 durch den Reim auf|gedrängt ist, vgl. mare i. R. Christ 26; das Adv. ar findet sich übrigens auch Conqu. of Ireland. Weder äußere noch innere Gründe schließen somit Irland als die Heimat des Gedichts aus, das wohl durch die afranz. Versspielereien des Grafen von Esmond nicht unbeeinflußt geblieben ist.
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Gedichte, welche nachweisbar auf fremden Vorlagen von abweichendem Dialekte beruhen.
XI. Elde.
Gedruckt von T. Wright, Rel. Ant. II, 210; Furnivall, EEP. p. 148.
Furnivall hat die ursprüngliche strophische Gliederung aufgelöst und den größten Teil des Gedichts als sechszeilige Schweifreimstrophen gedruckt. Wright, dem ich folge, hat die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Strophen richtig er|kannt und sie in der besten Anordnung, die das Ms. zuließ, wiedergegeben, obgleich bemerkt werden muß, daß auch diese Form kaum die ursprüngliche war.
Das Gedicht gehört zu der Gattung der Altersklagen, die von dem Poema Morale und dem Klageliede Maximions ab die ganze me. Literatur durchziehen.
Der sprachliche Ausdruck ist kräftig und derb anschaulich; die Strophe ist kompliziert und kunstvoll gebaut, wenn auch sehr ungleichmäßig, wenigstens in der überlieferten Gestalt; die Verse sind reich an künstlerischem Schmucke, wie die Binnenreime der ersten Strophe, sowie die alliterierenden und zugleich lautmalerischen Verse der vierten beweisen — alles das verrät nicht unbedeutende dichterische Anlage und ausge|prägten Sinn für äußere Form, wenn er auch nicht zu klarem Ausdruck gelangt ist. Daß das Gedicht nicht die Beachtung findet, nicht die Bedeutung gewonnen hat, welche den darin liegenden künstlerischen Elementen eigentlich zukommt, liegt in erster Linie an der Art der Überlieferung, welche uns Schwierigkeiten auf Schritt und Tritt bereitet. Wechsel des
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Versmaßes, unvollkommene und verstümmelte Strophen, un|verständliche Stellen, eine ungewöhnlich große Zahl schwieriger und wenig gebräuchlicher Wörter, alles dieses vereinigt sich um die Wirkung des Gedichtes zu beeinträchtigen.
Die zu Grunde liegende Strophe, um mit dem Versbau zu beginnen, ist, wie trotz aller Verstümmelungen unverkennbar ist, ursprünglich nur eine Differenzierung der bekannten zwei|teiligen Strophe von 6 oder 8 Langzeilen in der Reimstellung aaaa(aa)bb. Einfache Langzeilen zeigen sich noch ganz klar in der 1. Strophe, hier zeigen sich aber schon die Keime, die zu der Schweifreimform der folgenden Strophen führen. In der 1. Strophe sind die 6 Verse der frons einfach vierhebig mit germanischem Rhythmus, aber sie enthalten Binnenreim, werden dadurch dreiteilig und können bereits als Teile von Schweif|reimstrophen, die je zwei eintaktige und einen zweitaktigen Vers enthalten, aufgefaßt werden. Die Cauda der ersten Strophe enthält siebentaktige Verse ohne Binnenreim, also die gewöhnlichen septenarischen Langzeilen. Die folgenden Strophen haben statt der Binnenreime leoninische Reime, und damit ist die gewöhnliche Schweifreimstrophe fertig, deren Verse anfangs drei-, später viertaktig sind (cf. auch Schipper I 304).
Die ursprünglich vierzeilige frons wird damit zur zwölf|zeiligen Schweifreimstrophe, an die sich auch die ursprünglich zweizeilige Cauda als sechszeilige Schweifreimstrophe anschließt, wie aus den unverstümmelten Strophen 2 und 4 hervorgeht. Strophe 3 erscheint ohne die ursprüngliche Cauda, die sich anscheinend in Strophe 5 anschlußlos umhertreibt. Es wäre daher vielleicht angebracht, um die Ubereinstimmung mit der 2. und 4. Strophe herzustellen, Strophe 5 zu Strophe 3 zu stellen, zumal sie sich dem Sinne nach eng an diese anschließt. Als eine Art Schluß bleibt dann die letzte Strophe mit einer neuen Variation als achtzeilige Schweifreimstrophe übrig (aaacbbbc), vorausgesetzt, daß hier nichts ausgefallen ist.
Angesichts der ungleichmäßigen und ungewöhnlichen Form der Uberlieferung muß sich die Frage aufdrängen, ob wir die ursprüngliche Gestalt des Gedichtes vor uns haben oder eine unvollkommene und teilweise Umformung unter den Händen eines Überarbeiters. Mit Sicherheit ist die Frage nicht zu beantworten, wahrscheinlich erscheint mir allerdings, daß ur|sprünglich einfach Strophen von 4 oder 6 Langzeilen mit durch|gehendem
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Reime und einer zweizeiligen Cauda (aaaabb) vor|lagen, wie sie für das Frühme. charakteristisch und noch lange nachher beliebt sind. Bemerkenswert ist, daß sich unter den echten Kildare-Gedichten kein einziges Beispiel dieser Art findet. Es ist also nicht undenkbar, daß ein anglo-irischer Uberarbeiter die ihm ungewohnte Strophe mit dem ihm un|gewohnten germanischen vierhebigen Rhythmus zu der ge|wohnten Schweifreimstrophe änderte. Der Keim zu dieser Änderung lag ja in den vermutlich ursprünglichen Binnen|reimen der ersten Strophe, deren Verse für ihn dadurch drei|teiligen Charakter erhielten. Die Alliteration der ursprüng|lichen germanischen Langzeile ist in der 1. Strophe ziemlich rein erhalten und auch in die Schweifreimstrophen mit über|nommen, wo sie in den dreitaktigen Versen gewöhnlich zwei Hebungen trifft, in den viertaktigen meist vier. Wir müssen uns dabei erinnern, daß die Kildare-Gedichte weder die ger|manische Langzeile noch die Alliteration als Versprinzip in regelmäßiger, der Tradition entsprechender Anwendung kennen.
Daß wir eine Kopie oder Umarbeitung einer fremdartigen Vorlage vor uns haben, geht auch aus den Mängeln des Textes hervor, die vermutlich einfach unverstandene und in entstellter Form hinübergenommene Stellen der Vorlage darstellen. Dahin gehört 1, 7 blowid : blod; 3, 1 fordede : ted (lies deþ : teþ); 5, 2 And wold wil; 5, 3 as falc i falow (!); 5, 4 holle : folle; 6, 1 seo wouw spakiy (= see how spakly).
Reim und Schreibung weisen verhältnismäßig zahlreiche Fremdkörper auf, welche einen Schluß auf die Art der Vorlage gestatten. Zwei Reime fallen auf, nämlich aȝayn : main 5, 1 (Kild. hat nur aȝe, aȝen(s)); ȝete (Kild. ȝit) : -et 2, 9. Die wichtigsten fremdartigen Schreibungen sind: seo 6, 1, heordmon (= hîred-man) 5, 4; dazu kommen zahlreiche u in Wörtern, die sonst mit i auftreten: sunne 2, 1; 2, 13, munne 3, 14, murþis 3, 15, trusteþ 3, 18, lutle 4, 17; t für d in sent : iwent 5, 3. he 4, 9; 6, 1 gibt nicht das richtige Geschlecht von elde wieder und ist offenbar aus heo der Vorlage entstellt. Das altertüm|liche biþ = erit 6, 7 ist nicht verstanden nnd zu beþ geändert, trotz des Reimes: -iþ.
Die Vorlage war also eine südenglische, wie aus u und eo, sowie aus he = heo hervorgeht, und zwar mercisch, wie o vor Nasal (heordmon) und aȝayn beweist.
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XII. A Lullaby.
Gedruckt von T. Wright, Rel. Ant. II 177.
Dieses älteste uns erhaltene englische Wiegenlied ist zu|gleich eins der schönsten und klangreichsten seiner Art, einfach und volkstümlich gehalten und noch ganz frei von den reli|giösen Beziehungen, welche in den späteren me. Dichtungen dieser Gattung überwiegen. Auch die späteren Wiegenlieder haben den schmeichelnd melodischen Refrain: Lullai, lullai, auch sie singen von dem Elend, das das Kindlein in der bösen Welt erwartet, aber die wiegende und einlullende Mutter ist die Jungfrau Maria und das weinende Kind in ihren Armen ist das Christuskind. Bald in ahnungsvollen Klagen der Mutter allein, bald im Wechselgesang zwischen Mutter und Sohn wird das Schicksal geschildert, das die Welt für ihren Erlöser bereit hält. Wahre Perlen religiöser Lyrik finden sich hier, so in den Liedern des Ms. Sloane 2593, i. J. 1856 von T. Wright für den Warton Club herausgegeben (cf. Nr. 37, 69), in Wright's Songs and Carols, Percy Soc. 1847 (cf. Nr. 10, 14) und in der von Flügel Anglia XXVI veröffentlichten Liedersammlung (cf. Nr. 86, 87). Sie alle weichen auch äußerlich von unserem Gedichte stark ab. [Das schöne Gedicht: Thys endris nyȝt I saw a siȝt, A stare as bryȝt as day etc. = Flügel Nr. 87 und Percy Soc. Nr. 10 findet sich auch Rel Ant. II 76 und in dem Fairfax Ms.] Kein einziges zeigt noch die altertümliche
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sechszeilige Strophe (aaaabb), in welcher ihr Vorläufer aus dem Kildare-Ms. abgefaßt ist. Dennoch sind direkte Be|rührungen vorhanden. Der älteren Version am nächsten steht eine Gedicht des Sloane-Ms., Nr. 37 bei Wright, denn es be|ginnt fünf Strophen mit dem Refrain des Kildare-Gedichtes: Lullay, lullay, lytil chyld, und eine von diesen fährt fort: qwy wepy(s) thou so sore, was dem Anfang unsres Gedichtes genau entspricht. Ein älteres noch unbekanntes Gedicht, das eben|falls bereits den religiösen Hintergrund enthält, mit dem Refrain: Lollay, lollay, þu lytel chyld, wy wepys þou so sore, findet sich Ms. Harl. 7358, fol. 12 b. Auf einer Pergamentrolle der Cambr. Univ.-Bibl. (Oo VII 32), welche eine genealogische Tafel der englischen Könige in afrz. Sprache enthält und wohl noch in die Zeit Edward II. zu setzen ist, finden sich vier englische Verse, welche mit einer Strophe des Kild.-Gedichtes fast genau übereinstimmen; nämlich:
Þe leuedi fortune is boþe frend and fo, Of pore che makit riche, of riche pore also; Che turneȝ wo al into wele, and wele al into wo — Ne triste no man to þis wele, þe whel it turnet so.
Es ist hiernach wohl kaum zweifelhaft, daß Wiegenlieder und ähnliche Strophen schon früh im Umlauf waren und daß wir auch in unserem Gedichte nur eine nach Irland hinüber|gewanderte Version zu erblicken haben, denn daß es selber das Vorbild für die englischen Versionen gewesen sei, ist nicht anzunehmen. —
Die Langzeilen unsres Gedichtes sind regelmäßig gebaute Septenare, die sich von Übergängen und Berührungen mit dem nationalen vierhebigen Verse frei halten. Alliteration findet sich vereinzelt, aber nicht als regelmäßig angewandtes Prinzip, wie bei der nationalen Versart. Hierin befindet sich das Lied in Einklang mit den echten Kildare-Gedichten, welche sämtlich die Alliteration nur gelegentlich anwenden. Ein sicherer Fremd|körper läßt sich indes in der Schreibung nachweisen, und auch der Reim ist nicht frei von Entstellungen. In Strophe 1 ist der Reim: -ore in den vier ersten Versen nicht durchgeführt; statt euere : were stand wohl ursprünglich da euermore : wore, vielleicht auch mit -are statt -ore. In Strophe 6 ergeben sich mehrfache Schwierigkeiten durch die Reime icast : -est, wroȝt :
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betacht. Diese Unreinheiten sind eigentlich für ein kleines Gedicht etwas viel und lassen auf Formen im Original schließen, die dem Copisten ungewohnt waren und die er auf Kosten des Reimes änderte. Dazu kommt ein einziger, aber schwerwiegender Fremdkörper in der Schreibung. In Strophe 4 wird in Bezug auf "world" dreimal das Fürwort hit angewendet, aber einmal steht he da, offenbar durch korrektes heo der Vorlage herbeigeführt. Es ist gleichgültig, ob der Schreiber hier mechanisch he für heo geschrieben hat, wie er auch sonst e für eo der Vorlage einzusetzen gewohnt war, oder ob er, die Vorlage mißverstehend, wirklich das Wort "world" als Masc. behandelte, — ursprünglich kann ein falsches persönliches Geschlecht neben dem dreimaligen, dem Gebrauche des Schreibers entsprechenden hit nicht gewesen sein. Wir müssen mithin eine Vorlage mit heo, also von abweichendem Dialekt an|nehmen, denn in den Kildare-Gedichten hieß das entsprechende Fürwort ȝho, sso. Im Übrigen ist die Schreibung rein, die Vorlage macht sich also bedeutend weniger bemerkbar als in Erþe und Elde, wo dadurch sogar die genauere Bestimmung ihres Dialektes ermöglicht wird. —
Die ersten beiden Strophen unsres Gedichtes finden sich auf der unteren Hälfte von fol. 63 b in lat. Verse von ähnlichem metrischem Charakter und gleichem Strophenbau übertragen. Offenbar hat hier ein Mönch, der seine Fertigkeit im Schreiben lat. Verse zeigen wollte, ein leeres Fleckchen im Ms. ausgenutzt. Auf diese Verse deutet eine in späterer Schrift hinzugefügte Randbemerkung auf fol. 32: Require ista in latino .XII. folio. Die Anordnung und Foliierung des Ms. war also früher eine ganz andere.
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Von Wright und Furnivall nicht abgedruckt ist das folgende Fragment, das offenbar den Anfang einer Übersetzung des engl. Gedichtes darstellt. —
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XIII. Erthe.
Gedruckt von T. Wright Rel. Ant. II p. 216 (unter dem Titel: Proverbial Verses), ferner von Furnivall E. E. P. p. 150.
Die Nichtigkeit des irdischen Daseins bildet den Grund|ton des Gedichtes, die immer wiederkehrende Verwendung des Wortes Erde in doppelter Bedeutung und frappierender Gegen|überstellung ist sein äußeres Kennzeichen. Der Mensch, selber Erde, ist in Werden, Sein und Vergehen unauflöslich mit der Erde verknüpft. Erde kommt aus Erde, wandelt auf Erden und geht wieder zur Erde; Erde liebt die Erde und haßt die Erde; erwirbt sie und verliert sie; Erde gleißt auf Erden in schimmerndem Gewande und dient in Erde den Würmern zur Speise.
Lateinische oder afranz. Vorlagen zu unserem Gedichte sind nicht bekannt. Es spricht auch alles dafür, daß es echt englischen Ursprungs ist und im Zusammenhange steht mit dem für die frühste me. Literatur so wichtigen "Streite zwischen Seele und Leichnam", dessen Gedanken in einer Reihe von Versionen auftreten und in verwandten Gedichten weiter ge|sponnen werden. Schon aus einzelnen wörtlichen Anklängen
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geht die Verwandtschaft hervor. Der sehr auffallende Aus|druck in St. 2 unseres Gedichtes:
þe rof is on þe chinne
stammt aus den älteren Versionen des bekannten Streitgedichtes. In dem Oxforder Fragment (cf. Erlanger Beitr. VI p. 11) heißt es v. 10:
þe rof bid ibyld þire broste ful neh,
in den Worcester Fragm. (cf. Erlanger Beitr. VI, p. 4) C 31:
þin rof lüþ on þine breoste ful [neih],
im Ms. Digby 86 (cf. Stengel p. 100) Str. 56, 2.
Boþe þe firste & þe rof shulen ligen at þine chin[n]e
(ebenso in dem Gedichte Death aus dem Cott. und Jesus-Ms. abgedruckt von Morris, cf. O. E. Misc. p. 178) und endlich in der Version des Ms. Harl. 2253 (cf. Böddeker p. 243) v. 239:
When þe flor is at þy rug, þe rof ys at þy neose.
Auch ein 2. Ausdruck des Kild.-Gedichts:
bild þi long bold
erinnert an eine Stelle der letztgenannten Version, cf. v. 233
Fare we shule to a bour þat is oure long hom.
Der Inhalt unsres Gedichtes hat natürlich ebenfalls viele Be|rührungspunkte mit dem uralten Streitgedichte, wie schon aus einem Vergleiche mit dem Oxforder Fragmente "The Grave" hervorgeht. Nirgends aber findet sich in der verwandten Gruppe das doppelsinnige Spiel mit dem Worte Erde, wenn auch der Mensch zuweilen als cleiclot bezeichnet wird. Es lag aber nahe genug, und ein einziges Bild dieser Art mußte der Phantasie eines echten Dichters einen Stoff zuführen, wie er an eindringlichen Beziehungen und unerschöpflicher Variations|fähigkeit seines Gleichen kaum hat. Auffallend, daß keine der fremden Literaturen den dankbaren Stoff aufgegriffen und ausgebildet hat — das Englische hat ihn nicht wieder los|gelassen, wie die zahlreichen Bearbeitungen des 15. Jahrhunderts beweisen, und hat ihn auch in der Form von Inschriften auf Grabsteinen und an den Wänden von Kirchen der Nachwelt überliefert. Halliwell kennt bereits 1855 bei seinen Ver|öffentlichungen aus dem Porkington Ms. für den Warton Klub
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nicht weniger als 6 Hss. des 15. Jahrhunderts und weist auch die Verwendung einzelner Verse als Grabschriften etc. nach. Mehrere dieser späteren Versionen finden sich gedruckt bei Furnivall, E. E. T. S. 24, p. 88, sowie bei Horstmann, Yorkshire Wr. I 373; jetzt tritt noch die von Flügel Anglia XXVI p. 216 veröffentlichte hinzu, eine weitere noch unbekannte werde ich in dem Anhang abdrucken. Schwache Berührungen mit unserem Stoffe finden sich in einem spätme. Gedichte aus Ms. Lansdowne 762 (abgedr. Rel. Ant. I 260), dem der folgende lat. Spruch zu Grunde liegt:
Terram terra tegat, Daemon peccata resumat, Mundus res habeat, spiritus alta petat.
Alle Hss. der jüngeren Version haben die ersten und auch einige der übrigen Verse gemeinsam, sie beruhen also auf ein und demselben Gedichte, das sich durch Vergleichung leicht heraus|schälen ließe. Übrigens weichen die verschiedenen Hss. der Version stark von einander ab. Einzelne Strophen wurden weggelassen, andere hinzugefügt, immer neue Bilder und Gegen|überstellungen treten auf, forderte doch der dehnbare Stoff zu fortwährenden Erweiterungen und Variationen auf. Die ur|sprüngliche metrische Form der jüngeren Version — vierhebige meist alliterierende Langzeilen von germanischem Rhythmus in vierzeiligen Strophen mit durchgehendem Reim — ist noch überall deutlich erkennbar, vielfach ganz rein erhalten, zu|weilen wie bei Halliwells Abdruck, durch Bob-wheel erweitert; häufig — was besonders bei Zusatzstrophen nahelag — hat die germanische Langzeile septenarischen oder alexandrischen Charakter angenommen (cf. Flügels und Halliwells Versionen). Die Version des Kildare-Ms. ist bei weitem die ältere, sie zeigt aber Verwandtschaft mit der jüngeren Gruppe nicht bloss durch den Stoff und die eigenartige Verwendung des Wortes Erde, sondern auch durch die metrische Form, weniger allerdings durch wörtliche Anklänge. Die Kildare-Version hat sechszeilige Strophen mit der Reimstellung a a a a b b. Der germanische vierhebige Vers hat in der 1. Halbzeile meist zweimaliges 'erþ' [Schipper, Engl. Metr. I 304 faßst dies zweimalige erþ als Binnenreim auf (?).] ), in der zweiten Alliteration; auch die ersten Halbzeilen reimen
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unter sich oder endigen auf gemeinsames 'erþ'. Die Cauda nimmt oft septenarischen oder alexandrinischen Rhythmus an, schon äußerlich erscheinen die Verse hier länger. Es scheint mir durchaus möglich, daß die ursprüngliche Form der Kildare|Version wie in der jüngeren Gruppe nur vierzeilige Strophen mit durchgehendem Reime enthielt und daß die Cauda erst eine Erweiteruug darstellt. Für diese Möglichkeit scheint auch eine vereinzelte Strophe in dem bekannten Ms. Harl. 2253 zu sprechen, das einzige, was die ältere me. Literatur von Be|handlungen des Stoffes neben der unsrigen aufweist. Die Strophe, welche bereits von Wanley und Ritson gedruckt ist und auf welche Flügel a. a. O. p. 216 wiederum die Aufmerk|samkeit lenkt, lautet nach der Hs.:
Erþe toc of erþe erþe wiþ woh, Erþe oþer erþe to þe erþe droh, Erþe leyde erþe in erþene þroh, Þo heuede erþe of erþe erþe ynoh.
Die Verse erinnern direkt an die ersten 4 Zeilen unsres Gedichtes, mit denen sie bis auf eins die Reimwörter gemein haben. Auch hier aber findet sich die vierzeilige Strophe mit germanischem Rhythmus wie in der jüngeren Gruppe. Die ursprüngliche Fassung, auf welche die ältere wie die jüngere Gruppe in letzter Linie zurückgeht, hat also vermutlich vier|zeilige Strophen gehabt, ohne die Cauda, die nur in der Kil|dare-Version auftritt.
Daß die letztere keine ursprüngliche Fassung ist, wird schon durch diese Überlegung nahegelegt, Schreibung und Reim ergeben aber auch direkte Beweise, daß dem Gedichte eine zuweilen nicht richtig wiedergegebene Vorlage in andersartigem Dialekte zu Grunde lag. Das beweisen Enstellungen wie 4, 1 get hit für ursprüngliches getith; 5, 3 grouer and groy für ... grey (reimt :-ei). Das beweisen ferner verstümmelte Reime wie in Str. 7 in lond : thou com : at on (= ǫ¯): dome statt ilome: come: isome: dome und ebendaselbst mede : dede (= Tod!) statt mę¯þ Maß (cf. lat. Strophe mensura): dęþ; blis : niȝt statt miȝt : niȝt. Das geht endlich hervor aus den Fremdkörpern der Schreibung, nämlich mon 1, 5 und 7, 5, in weden : to feden : al is lif deden 2, 1, heo (= Erþ) 2, 4, wozu vielleicht auch u in muntid (= muntiþ) 2, 4 und lutil 5, 2 zu stellen ist. heo, u, sowie o vor
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Nasal kennzeichnen die Vorlage als dem südmercischen Dia|lekte angehörig.
Unter jeder englischen Strophe befindet sich eine lateinische gleichen Inhalts und ähnlicher Form, nur daß hier statt der vierhebigen Verse Septenare eingetreten sind. Wie schon die äußere Anordnung vermuten läßt, beruhen die lat. Strophen auf den englischen und nicht umgekehrt; sie sind eine nicht immer klare und glückliche Übersetzung des gelehrten Mönches, dem das englische Gedicht mit seinem so gut verwertbaren religiösen Inhalt in die Hände geraten war. Nicht allein aus den Mängeln der Übertragung, sondern vor allem aus dem Um|stande, daß das charakteristische Spiel mit dem Worte "Erþe" — hier terra, vesta, humus, ops — nur sehr unvollkommen zum Ausdruck gebracht ist, geht die Stellung der lateinischen Strophen mit Sicherheit hervor. Dieselbe Neigung in der klassischen Sprache den Pegasus zu besteigen zeigt sich noch deutlicher bei einem 2. von außen eingeführten Gedichte unsres Ms., dem Lullaby, wo ein leeres Fleckchen auf einer ganz anderen Seite dazu benutzt ist, um wenigstens den Anfang in lat. Verse zu übertragen. In beiden Fällen zeigte wohl derselbe Klosterbruder seine Kunst. Das Ms. enthält übrigens auch mehrfach rein lat. Dichtungen, die z. T. wohl in dem Kloster selbst entstanden sind.
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XIV. 5 evil things.
Gedruckt von Furnivall E. E. P. S. 161.
Wiederum ein klares Anzeichen, daß unser Ms. den engen Zusammenhang mit der gemeinenglischen Literatur nicht ver|loren hatte, denn ähnliche Sprüche wie der vorliegende sind bereits aus dem Ae. bekannt (cf.: De 12 abusivis OEH I 299) und tauchen auch sonst im Frühme. auf. Ich erinnere an die Ten Abuses, welche Morris, OE Misc. p. 184 in parallelem Texte aus zwei Hss. (Cal. AIX Anfang des 13 saec., Jesus Coll. 29 Ende des 13. saec.) veröffentlicht hat Die 5-Zahl findet sich in der Fassung des Ms. Cott. Cleop. C VI, einer schönen Ancren-Riwle|Hs., in der sie auf fol. 22 unten von anderer, aber ebenfalls dem 13 saec. angehörenden Hand zusammen mit anderen Sprüchen nachträglich eingetragen ist (abgedruckt von T. Wright Rel. Ant. II, 15). Diese ältere Fassung unterscheidet sich von der unsrigen wohl im Wortlaut und der Reihenfolge, doch weniger in der Sache.
Etwas stärker abweichend ist eine Fassung des XV. Jahr|hunderts aus Ms. Rawl. Poetry 32, die ebenfalls fünf Fehler tadelt (gedr. von Halliwell, Rel. Ant. I, 316). Man vergleiche auch Rel. Ant. I, 58; die dort abgedruckten acht Zeilen aus Ms. Ashm. 750, Oxford, (15. saec.) enthalten in der zweiten Hälfte eine Fassung, in der von dem ursprünglichen Wortlaut noch weniger zu spüren ist; sie klingt an das Rawl. Ms. an, zieht aber die Tadel in vier zusammen (cf. yong womman).
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