Vorlesungen über Variationsrechnung, von Dr. Oskar Bolza. Umgearb. und stark verm. deutsche Ausgabe der "Lectures on the calculus of variations" desselben Verfassers. Mit 117 Figuren im Text.

Zweites Kapitel.
Die zweite Variation bei der einfachsten Klasse von Aufgaben.
~ 9. Die Legendre'sche Bedingung.
Nach Integration der Euler'schen Differentialgleichung und Bestimmung der Integrationskonstanten erhält man im allgemeinen eine
gewisse Anzahl1) von Kurven, als die einzig möglichen Lösungen des
vorgelegten Problems; d. h. wenn es überhaupt Kurven gibt, welche
das Integral J zu einem Minimum machen, so müssen dieselben unter
den so gefundenen enthalten sein. Wir haben jetzt jede einzelne
dieser Kurven daraufhin zu untersuchen, ob sie wirklich ein Minimum
liefert oder nicht.
a) Allgemeines über die zweite Variation:
Wir nehmen also an, wir hätten eine Extremale2) der Klasse C'
gefunden, welche durch die beiden gegebenen Punkte P, und P2 geht;
sie möge mit 0o bezeichnet werden, und sei durch die Gleichung
y y= f(x), X <Xi X (l)
dargestellt. Wir nehmen überdies an, daß (, ganz im Innern des
Bereiches 9q liegt.
Wir variieren jetzt die Kurve (o ganz wie in ~ 4, wobei wir
uns wieder auf Variationen der speziellen Form = sc beschränken.
1) Die Anzahl kann auch unendlich sein; es kann andererseits aber auch
unmöglich sein, die Integrationskonstanten den Anfangsbedingungen entsprechend
zu bestimmen, vgl. p. 32, Fußnote 1).
2) Hierin ist stets implizite die Annahme enthalten, daß der Differentialquotient *~fy'ü existiert.
dx o~