Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

Franz Adolph Taurinus. 425 den Grund des Unterschiedes beider Resultate darein, dafs gerade Linien sich nur in einem [Punkte,] Bogen gröfster Kreise, auf einer Kugelfläche [,] aber einander in zwei Punkten schneiden können. Er fügt zugleich hinzu, dafs sich alle diejenigen planimetrischen Sätze, welche die Theorie der Parallelen nicht voraussetzen, ungeändert auf die Kugelfläche übertragen lassen, wenn man nur statt der geraden Linien Bogen gröfster Kreise, statt der Kreise kleinere Kreise der Kugelfläche setzt, und dafs sich auf diese Art eine sphärische Geometrie erdenken lasse, welche mit der Planimetrie gleichen Schritt halte. Und das ist auch ganz gegründet, und wir sehen einen sehr gelungenen, schon ziemlich weit ausgeführten Versuch dieser Art in den Sphaericis des THEODOSIUS. Der Grund der Ähnlichkeit der ebenen und der sphärischen Geometrie liegt augenscheinlich in der Eigenschaft, welche die ebene mit der Kugelfläche, aber mit keiner andern Fläche gemein hat, dafs alle Theile derselben genau aufeinander passen; dafs aber von der Parallelentheorie an eine Verschiedenheit stattfindet, hängt damit zusammen, dafs ein Stück der Kugelfläche, wenn man es umwendet, nicht mehr auf die alte Fläche pafst, was doch bei der Ebene stattfindet; siehe, was ich darüber schon gesagt habe38). Wenn nun aber Herr TAURINUS, auf ähnliche Art, wie schon früher SACCHERIUS (siehe die vorhin angeführte Schrift), weiter fragt, was für eine Geometrie denn das geben würde, wo man setzt, dafs die Summe der Winkel eines Dreiecks kleiner als 2R sei, und wenn er anfängt, den Gedanken auszuspinnen, so können wir darüber kein anderes Urtheil fällen, als über die Rechnungen mit imaginären Gröfsen; man kann ein sehr strenges System entwerfen, was erfolgen würde, wenn etwas, was nicht wahr ist, wahr wäre; man wird aber, wenn man auf diesem Wege kein Resultat für reelle Gröfsen erlangt, bald von selbst umkehren, wohl fühlend, dafs man sich mit blofsen Chimären beschäftigt. Wir haben vermittelst der Quadratwurzeln aus negativen Gröfsen manche bedeutende Entdeckungen gemacht, die sich auf reelle Gröfsen beziehen, und die uns sonst vielleicht ewig verborgen geblieben wären; ob man solche Entdeckungen auch durch die Fiction einer Geometrie, worin die Winkel eines Dreiecks < 2R, machen könne, darüber wage ich nicht zu entscheiden. Eine andere Frage aber ist es, ob wir nicht den ohne die Parallelen38) Der von LEHMANN angeführte Grund ist nicht stichhaltig, der wahre Unterschied der parabolischen und der elliptischen Geometrie liegt vielmehr in der Forderung der unendlichen Länge der geraden Linie. Dass es sich so verhält, hatte schon TAURINUS richtig erkannt (vergl. seine Theorie der Parallellinien S. 57, sowie die Bemerkung oben S. 413) und sich dadurch, wie schon vor ihm LAMBERT, als Vorgänger RIEMANN'S erwiesen; vergl. auch P. Th. S. 252.

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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"Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0003.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed April 30, 2025.
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