Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

408 Paul Stäckel: Aufgabe in derselben auflösen kann mit Ausnahme der Bestimmung einer Constante, die sich a priori nicht ausmitteln lässt. Je gröfser man diese Constante annimmt, desto mehr nähert man sich der Euclidischen Geometrie und ein unendlich grosser Werth macht beide zusammenfallen. Die Sätze jener Geometrie scheinen zum Theil paradox, und dem Ungeübten ungereimt; bei genauerer ruhiger Überlegung findet man aber, dafs sie an sich durchaus nichts unmögliches enthalten. So z. B. können die drei Winkel eines Dreiecks so klein werden als man nur will, wenn man nur die Seiten grofs genug nehmen darf, dennoch kann der Flächeninhalt eines Dreiecks, wie grofs auch die Seiten genommen werden, nie eine bestimmte Grenze überschreiten, ja sie nicht einmahl erreichen. Alle meine Bemühungen einen Widerspruch, eine Inconsequenz in dieser Nicht-Euclidischen Geometrie zu finden sind fruchtlos gewesen, und das Einzige was unserm Verstande darin widersteht, ist dafs es, wäre sie wahr, im Raume eine an sich bestimmte (wiewohl uns unbekannte) Lineargrösse geben müsste. Aber mir deucht, wir wissen, trotz der Nichts Sagenden Wort-Weisheit der Metaphysiker eigentlich zu wenig oder gar nichts über das wahre Wesen des Raumes, als dafs wir etwas uns unnatürlich vorkommendes mit Absolut Unmöglich verwechseln dürfen. Wäre die Nicht-Euclidische Geometrie die wahre, und jene Constante in einigem Verhältnisse zu solchen Grössen die im Bereich unsrer Messungen auf der Erde oder am Himmel liegen, so liesse sie sich a posteriori ausmitteln. Ich habe daher wohl zuweilen im Scherz den Wunsch geäufsert, dafs die Euclidische Geometrie nicht die Wahre wäre, weil wir dann ein absolutes Maass a priori haben würden. Von einem Manne, der sich mir als einen denkenden Mathematischen Kopf gezeigt hat, fürchte ich nicht, dafs er das Vorstehende misverstehen werde: auf jeden Fall aber haben Sie es nur als eine Privat-Mittheilung anzusehen, von der auf keine Weise ein öffentlicher oder zur Öffentlichkeit führenkönnender Gebrauch zu machen ist. Vielleicht werde ich, wenn ich einmahl mehr Musse gewinne, als in meinen gegenwärtigen Verhältnissen, selbst in Zukunft meine Untersuchungen bekannt machen. Mit Hochachtung verharre ich Ewr. Wohlgeboren Göttingen den 8 November ergebenster Diener 1824. C. F. GAUSS. Aus diesen Briefen ergiebt sich zunächst, dafs TAURINUS im October 1824 noch durchaus der Überzeugung war, das elfte Axiom könne und müsse bewiesen, d. h. aus den übrigen Voraussetzungen der Euklidischen

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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"Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0003.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed May 1, 2025.
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