Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

Die Wissenschaften sind entwicklungsfähige Einzelwesen von personellem Charakter mit zeitlich ganz bestimmten Entwicklungsrichtungen, und fast mehr noch als bei menschlichen Personen hängt der momentane Charakter bei einer Wissenschaft von ihrer Vorentwicklung ab. Man sagt, dafs jeder tierische Organismus alle Perioden seines Werdens, ja selbst alle Entwicklungsstufen, durch welche seine Vorfahren hindurchgegangen, noch in deutlich erkennbaren Resten an sich trage. Sicherer aber noch als für tierische Individuen gilt dieser Satz für das Wesen und das Werden einer sich organisch entwickelnden Wissenschaft. Trotzdem verkennt man vielfach, selbst in Kreisen, die sich mit gröfstem Eifer und gröfstem Erfolg um den Fortschritt der exakten Wissenschaften bemühen, den Wert der Geschichte dieser Wissenschaften und hält sich von geschichtlichen Studien fast geflissentlich, fern. Gerade den erstaunlich schnellen Fortschritt der experimentellen Disziplinen benutzt man wohl auf dieser Seite, um das zurückschauende, scheinbar den Fortschritt nur verlangsamende geschichtliche Studium zur Zeit noch als unthunlich und selbst unmöglich oder doch als schädlich oder wenigstens als einen für diese Wissenschaften unnützen Luxus zu bezeichnen. Solchen Angriffen und Ansichten, die, allerdings mehr unausgesprochen, sich doch noch immer wirksam zeigen, mit einigen Sätzen gegenüber zu treten, hielt ich in dieser Festschrift für besonders am Platze. Die Behauptung einer Unmöglichkeit der Geschichtschreibung für entwicklungsfähige Wissenschaften, die schon eine reiche Vergangenheit haben, klingt allerdings von vornherein paradox, erhält aber durch die Begrenzung auf bestimmte Wissenschaften und bestimmte Momente ihrer Entwicklung einen immerhin möglichen und begreiflichen Sinn. Man giebt nämlich bei jener Behauptung ganz gern zu, dafs sogenannte tote Wissenschaften, deren Entwicklung längst abgeschlossen ist, notwendig historisch begriffen werden müssen und nur so verstanden werden können, will aber die exakten Wissenschaften dann um so strenger von einer solchen Behandlung ausschliefsen, weil sie in ihrem schnellen Flusse derselben nicht standhielten; von einer Geschichte dieser Wissenschaften könne danach erst

/ 897
Pages

Actions

file_download Download Options Download this page PDF - Pages 344-361 Image - Page 344 Plain Text - Page 344

About this Item

Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
Canvas
Page 344
Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

Technical Details

Link to this Item
https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0003.001
Link to this scan
https://quod.lib.umich.edu/u/umhistmath/acd4263.0003.001/600

Rights and Permissions

The University of Michigan Library provides access to these materials for educational and research purposes. These materials are in the public domain in the United States. If you have questions about the collection, please contact Historical Mathematics Digital Collection Help at [email protected]. If you have concerns about the inclusion of an item in this collection, please contact Library Information Technology at [email protected].

DPLA Rights Statement: No Copyright - United States

Manifest
https://quod.lib.umich.edu/cgi/t/text/api/manifest/umhistmath:acd4263.0003.001

Cite this Item

Full citation
"Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0003.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed April 30, 2025.
Do you have questions about this content? Need to report a problem? Please contact us.