Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

178 August Heller: friedigenden Resultate geführt, so bedeutend auch sonst die Ausbeute an weiten Blicken in das Denkreich des menschlichen Geistes sein möge, die auf diese Weise gewonnen wurde. Anders steht es mit den Erscheinungen der Natur, die wir physikalische Erscheinungen nennen, in deren Entwicklungsgang wir allerdings einen bei weitem tieferen Einblick gewinnen können. Wohl ist auch hier die Entstehung der wissenschaftlichen Grundvorstellungen in tiefes Dunkel gehüllt. Durch ungefüge Vergleichungen sucht der menschliche Geist sich ein Bild von der Umgebung zu machen, das allerdings nur eine ganz rohe Skizze sein kann. Als ersten Schritt finden wir bei allen Naturvölkern den extremsten Anthropomorphismus, dem Menschen gleichgeartete, wenn auch direkt sinnlich nicht wahrnehmbare Wesen sind es, welchen sämtliche Erscheinungen der umgebenden Welt zugeschrieben werden. Der anthropomorphistische Zug ist ein in der menschlichen Natur tief gründender und selbst auf den höchsten Stufen der Kultur nachweisbarer. Selbst in der Naturwissenschaft der Gegenwart ist er deutlich vorhanden, wenn die fundamentalen Begriffe der Mechanik durch Empfindungen im menschlichen Organismus ausgedrückt werden, wie dies der Fall ist beim Begriffe der anziehenden und abstofsenden Kraft und beim Begriffe der geleisteten mechanischen Arbeit, wo der erste aus dem Gefühle der Muskelspannung, der zweite aus dem der Empfindung der Ermüdung hervorgegangen ist. Dieser anthropomorphistische Zug, der in den andern Wissenszweigen ebenfalls und zwar gewöhnlich in gröfserem Mafse hervortritt, läfst sich durch die ganze Entwicklungsgeschichte der Wissenschaft verfolgen und drückt derselben sein charakteristisches Gepräge auf. Die Anschauungen über die natürlichen Dinge hängen von der Geistesrichtung und von dem Kulturzustande eines Volkes ab. Dasjenige Volk des Altertums, dessen Entwicklung auf diesem Gebiete wir am besten kennen und welches auf diesem Gebiete durch ihre Verbindungen mit den übrigen Kulturvölkern auch das meiste bieten kann, ist das Griechenvolk, in deren Fufsstapfen in Bezug auf philosophisches Denken und Naturanschauung die Römer treten. So wunderbar entwickelt die intuitiven Erkenntnisse der grofsen Wahrheiten bezüglich unseres Seins bei den philosophischen Denkern Griechenlands sind, so kindisch und ungefüge sind ihre Vorstellungen über die einfachsten Naturerscheinungen. In ergreifenden, erhabenen Worten spricht LUCRETIUS die starren materialistischen Anschauungen des EPIKUROS über die Vergänglichkeit des menschlichen Daseins aus; wo er jedoch an die Erklärung der uns umgebenden Erscheinungen herantritt, giebt er blofs urteilslose, unhaltbare Annahmen. Nichtsdestoweniger hat die alte Welt es in der physischen Welt

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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"Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0003.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed May 1, 2025.
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