Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

214 A. Wassiljef: der Sohn Wolfgang Bolyais, des Studiengenossen und Freundes von Gauss, zur nichteuklidischen Geometrie. Auf der andern Seite führte auch das philosophische Denken der damaligen Zeit zu der Frage nach dem Wesen und der Entstehung der geometrischen Axiome. Die Zeit, in der Lobatschefskij mit jugendlichem Eifer und mit Ruhmbegierde seine selbständige, geistige Arbeit begann, war eine in der Geschichte des menschlichen Verstandes berühmte Zeit. Sie erscheint uns nach den beredten Worten von Helmholtz in seiner Rede "Die Thatsachen in der Wahrnehmung", als eine Zeit, "reich an Gütern geistiger Art, an Begeisterung, an Energie, idealen Hoffnungen und schöpferischen Gedanken.' Diese Zeit stellte die grundlegende Aufgabe jeder Wissenschaft, die Aufgabe der Erkenntnisstheorie: "Was ist Wahrheit? In wieweit entsprechen unsre Vorstellungen der Wirklichkeit?" Zur scharfen Formulirung dieser Aufgabe hat besonders Kant beigetragen, namentlich seine "Kritik der reinen Vernunft" und die darin enthaltene Lehre vom Raume. Der grosse Königsberger Philosoph hat die Frage nach dem Wesen des Raumes im Laufe seines Lebens mehrere Male und auf verschiedene Weisen beantwortet. In seiner ersten darauf bezüglichen Arbeit: "Gedanken über die wahre Schätzung der lebendigen Kräfte" (1746) wirft der zwanzigjährige Kant mit jugendlicher Kühnheit die Frage auf nach dem Grunde der drei Ausdehnungen des Raumes und erblickt diesen Grund darin, dass die Seele ihre Eindrücke gemäss dem von Newton entdeckten Gesetze der Anziehung empfängt, also umgekehrt proportional dem Quadrate des AbEuklidische Forderung zu beweisen, behandelt aber andrerseits auch die beiden Möglichkeiten, dass die Winkelsumme im Dreieck grösser oder kleiner als zwei Rechte ist. Er bemerkt, dass die erste Möglichkeit auf der Kugel verwirklicht ist, und spricht die Vermuthung aus, dass die andre auf einer iimaginären Kugel stattfinde. Er hat auch erkannt, dass es, sobald eine von beiden Möglichkeiten stattfindet, für die Längen ein absolutes Mass giebt. Leberdies ist er selber offenbar von seinen Versuchen, die Enklidische Forderung zu beweisen, unbefriedigt gewesen, sonst hätte er die Arbeit wohl noch bei seinen Lebzeiten veröffentlicht. In seiner,Theorie der Parallellinien" (1825) sagt Taurinus:,Die Idee einer Geometrie, in welcher die Summe der Dreieckswinkel kleiner als zwei Rechte wäre, ist mir schon vor vier Jahren mitgetheilt worden (von meinem Oheim, Prof. S. in K., damals noch in M.); ich habe mich aber nicht damit befreunden können und kann es jetzt noch viel weniger." Nach der sehr wahrscheinlichen Vermuthung G. S. Semikolefs, des Verfassers der,Studien über die Lobatschefskijsche Geometrie" meint er damit Professor Schweikart, den Gauss in seinem bekannten Briefe an Schumacher erwähnt (s.,Ueber die Grundlagen der Geometrie", Veröffentlichung der physisch - mathematischen Gesellschaft. Kasan 1893, S. IX).

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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"Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0002.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed June 17, 2025.
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