Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

Nikolaj Iwanowitsch Lobatschefskij. 211 Gegenstände der Erziehung" athmet, mit dem Durste nach mannigfaltigem Wissen, mit dieser Freiheit des Geistes, die nöthig war, um an der Wahrheit eines Axioms zu zweifeln, das im Laufe zweier Jahrtausende von allen anerkannt und durch die Autorität Euklids geheiligt war, mit dieser brennenden Liebe zur Wahrheit, die ihm erlaubte, ohne sich durch die Gleichgültigkeit oder den Spott seiner Zeitgenossen hemmen zu lassen, hartnäckig und beharrlich seine geliebten wissenschaftlichen Ideen zu verfolgen. War Lobatschefskij vielleicht auch in diesem Punkte seinen hervorragenderen Lehrern, namentlich Bartels, verpflichtet? Verdankte er etwa diesem die Wahl des geliebten Gegenstandes seiner Arbeiten, der Frage nach den Grundlagen der Geometrie, die ihn berühmt machen sollte? Wahrscheinlich wird das immer ein Rathsel bleiben; aber, wie gross auch unsre patriotische Begeisterung für Lobatschefskij sein mag, die Liebe zur Wahrheit muss uns doch zwingen, an die Möglichkeit zu denken, dass Gauss durch die Vermittelung von Bartels Lobatschefskij beeinflusst haben kann. Der grosse deutsche Mathematiker hatte schon 1816 und 1822 Besprechungen verschiedener Versuche, die Euklidische Forderung zu beweisen, veröffentlicht, und die Entschiedenheit, mit der er in diesen Besprechungen seiner Ueberzeugung Ausdruck verleiht, dass alle Versuche, die Lücke der Geometrie auszufüllen, die mit dieser Forderung zusammenhängt, vergeblich seien, erlaubt uns nicht, an der Richtigkeit der Behauptung zu zweifeln, die er im Jahre 1846 in seinem bekannten Briefe an Schumacher ausspricht, dass er nämlich schon 1792 zu der Ueberzeugung von der Möglichkeit einer nichteuklidischen Geometrie gelangt sei. Die Zeit, in der sich diese Ansichten bei Gauss entwickelten, ist die Zeit seiner engen Freundschaft mit Bartels, die schon 1785 entstanden war, als Bartels sechzehn und Gauss acht Jahre alt war. Ihre unausgesetzten, persönlichen, freundschaftlichen Beziehungen wurden zwanzig Jahre hindurch fortgesetzt, bis 1807, wo Bartels nach Kasan übersiedelte. Mit Ausnahme einer kurzen 7 Zwischenzeit lebten sie fast unzertrennlich in Braunschweig und bekamen beide ein Stipendium von dem Herzoge von Braunschweig, der die Absicht hatte, ein Observatorium zu erbauen, dessen Direktor Gauss werden sollte, und eine höhere mathematische Schule zu gründen, an der Gauss und Bartels Professoren werden sollten. Ihre Namen waren so sehr mit einander verbunden, dass beide gleichzeitig von Fuss, dem ständigen Secretär der Petersburger Akademie der Wissenschaften, Briefe erhielten, in denen Gauss die Direktorstelle der St. Petersburger Sternwarte und Bartels die Professur in Kasan angeboten wurde. Man kann daher die Vermuthung nicht für zu gewagt halten, dass Gauss seine Gedanken über die Frage der Parallellinien seinem Lehrer 14 *

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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