Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

Briefe von G. Eisenstein an M. A. Stern. 191 währende Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung der Menschen und nach gemütlicheren Verhältnissen, mathematische Beschäftigung ist für mich eine Art Betäubung, um mich vor Melancholie zu retten, so wie für andere Menschen Wein oder Branntwein; daher ist meine Stimmung am düstersten gerade nach Absolvierung eines schwierigen mathematischen Problems, da ich dann recht einsehe, wie sich hierdurch doch garnichts in meiner Lage ändert. Indem ich nun immer mehr einsehe, dass ich selbst mir hierin nicht helfen kann und Andere mir nicht helfen wollen, so bin ich ganzlich meines Daseins überdrüssig geworden und ich vegetiere nur so fort, indem ich mich, wie gesagt, durch mathematische und andere Beschäftigung betäube; so treibe ich schon seit einem Jahre Anatomie und Physiologie und höre eifrig Johannes Müller's Vorlesungen, auch musiziere ich oft, doch Alles kann keine Zufriedenheit gewähren, da ewig das fehlt, was ich wünsche. Dass wirklich mein Unglück in den Verhältnissen liegt, sehe ich an einzelnen Lichtblicken, wenn etwas sich hierin zu ändern scheint, dann komme ich mir gleich wie ein ganz anderer Mensch vor, aber es sind nur Täuschungen und es wird gleich wieder dunkle Nacht, d. h. es bleibt Alles beim Alten. Wenn Sie einige Freundschaft für mich empfinden, so werden Sie mich vielleicht verstehen, von Hause aus bin ich gewiss kein Hypochonder, man bringe mich nur in heitere Verhältnisse (nicht glänzende), so werde ich der heiterste Mensch sein. Ich wollte Sie nicht mit Klagen belästigen lieber Stern, denn ich weifs, man macht sich dadurch unliebenswürdig und verscheucht seine Freunde; eben um nicht zu klagen, habe ich solange nicht geschrieben; mögen Sie eben so glücklich sein, als Ihr Freund unglücklich. Verzeihen Sie, dass ich den Satz über die Primzahlen 85n + 1 in meiner Abhandlung den Stern'schen Satz nenne, es ist ebenso, wie mit dem Legendre'schen Reciprocitätssatze. Das Papier geht zu Ende; leben Sie recht wohl. Mit den herzlichsten Wünschen Ihr Berlin 10./2. 48. Gotthold Eisenstein. Bitte um baldige Antwort, damit der Briefwechsel nicht abermals ins Stocken gerät. VI. November 1848. Lieber Stern. Wenn man lange nicht geantwortet hat, so schämt man sich und diese Scham wächst mit der Zeit wie eine Lawine, so dass man das Antworten immer wieder aufs Neue aufschiebt; doch hoffe ich diesmal noch Verzeihung, indem ich jetzt so spät erst die Feder ergreife. Ich darf

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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"Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0002.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed May 1, 2025.
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