Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

158 F. Rudio: Als ich in der höheren Analysis schon ziemlich fest war, wurde ich durch andere Betrachtungen auf die Zahlentheorie geführt, die ich bisher merkwürdiger Weise für unfruchtbar gehalten hatte. Ich erkannte meinen Irrtum und legte mich nun mit um so grösserem Eifer auf diesen Zweig der Mathematik, der in der Art der Behandlung und dem Stoffe nach von den übrigen Teilen durchaus abweicht, so dass er ganz getrennt von ihnen sein unabhängiges Bestehen in sich selbst hat, obgleich die höchsten und feinsten Partien beider Wissenschaften sich jetzt durch Dirichlet's und Jacobi's Forschungen aneinander zu neigen scheinen. Dieser doppelt schwierigen und doppelt interessanten Wissenschaft wandte ich seitdem meinen Hauptfleiss zu, und ich habe mir das Meiste und Wichtigste aus derselben zu eigen gemacht; besonders bin ich auch zu ihren neuesten Entdeckungen vorgedrungen. Die Zahlentheorie ist den Mathematikern eben wegen ihrer Eigentümlichkeit weniger bekannt; aber sie scheint jetzt den wichtigsten Platz in der Mathematik einnehmen und zur Basis aller neueren Forschungen dienen zu wollen, wie z. B. die Kreisteilung von Gauss und Dirichlet's Theorie der Anzahl der quadratischen Formen beweist. Aus ihr habe ich daher auch einen Gegenstand, der sich gut abrunden lässt, gewählt, um ihn als eine Art Probearbeit einer Hochwohllöblichen Prüfungskommission vorzulegen. In den Jahren 1840 bis 1842 besuchte ich die Kollegia des Professor Ohm an der Universität und zwar mit einer solchen Energie und Eifer, dass ich kaum die Zeit von einer Stunde zur anderen abwarten konnte. Auch nahm ich, wenn es die Zeit erlaubte, an den Vorlesungen des grossen Lejeune Dirichlet Teil, der uns jetzt leider auf einige Zeit verlassen hat, um in freundlicheren Zonen seine edle Lebenskraft zu stärken; mit seinem würdigen Lobe möchte ich mein ganzes Leben ausfüllen, hielte ich es nicht für Anmassung, meine schwache Stimme da hinzuzufügen, wo so allgemeine Anerkennung der erhabensten Geister stattfindet. Selbst wenn ich, um mit Homer zu reden, ein ehernes Herz und eine tausendfältige Zunge hätte, würde ich nicht die Begeisterung schildern können, in die mich die grossartigen und genialen Entdeckungen dieses ungeheuren Kopfes nicht nur in einem, sondern fast in allen Gebieten der Mathematik versetzt haben; wie sich immer in den verwickeltsten Theorien ein einfacher, schöner und klarer Hauptgedanke zum Grunde legt, an den sich das Ganze wie um einen Mittelpunkt anreiht, wie er immer den wahren Kern herauszufinden weiss, so dass man, wie man auch nachher den Gegenstand anders drehen mag, doch einsieht, das war es, worauf es ankam, so und nicht anders musste es gemacht werden. - Das wesentliche Princip der neueren mathematischen Schule, die durch Gauss, Jacobi und Dirichlet begründet ist, ist im Gegen

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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"Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0002.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed May 1, 2025.
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