Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

Eine Autobiographie von Gotthold Eisenstein. 151 Leider gehörte er zu denen, welche anders sind, als andere Menschen; ob er ein Genie gewesen ist, weiss ich nicht, ein grossartiger Kopf war er gewiss; aber er wusste sich nicht in Verhältnisse zu fügen, er war kein Freund regelmässiger Thätigkeit, und verstand es nicht, seinen Willen einem fremden unterzuordnen. Eine herrliche Anstellung als einer der ersten Lehrer an der Cauerschen Anstalt in Charlottenburg, deren Gründer er zum Teil war, gab er auf und starb im Elend. Er wurde mir von den Eltern als ein warnendes Beispiel vorgehalten, man prägte mir dasselbe um so mehr ein, als man bei mir Anlage zu einer ähnlichen Richtung zu bemerken glaubte. Von meinem sechsten Jahre an besuchte ich die Bartelsche Schule in der Scharrenstrasse, welche noch existiert. Hier wurde der Grund zu meiner ersten wissenschaftlichen Bildung gelegt. In den untern Klassen erhielt ich meine Elementarbildung. Aus dieser Zeit entsinne ich mich noch, wie viel Qual mir das Schreiben, und im Rechnen die langen Multiplikationsexempel machten. Hieraus würde man nun mit Unrecht schliessen, dass es schlecht mit meinen mathematischen Fähigkeiten gestanden habe, wenn ich am Rechnen keine Neigung fand; denn nur das Mechanische, sich stets Wiederholende der Operation verdross mich, so wie mich noch jetzt verwickelte Rechnungen ohne weiteren Zweck anwidern, während ich keinen Fleiss scheute, wenn es etwas Neues gab, worin ich Geist, Idee bemerkte. Mit grosser Leichtigkeit begriff ich die Formen der Grammatik und der Sprache, wie Alles, was sich auf logische Art fassen liess. In den oberen Klassen lernte ich nun schon Geschichte und besonders Lateinisch, worin ich ziemliche Fortschritte machte. Neben andern Dingen wurden auch einige Hauptsachen aus der Physik vorgetragen. In dieser Zeit trat bei dem Knaben durchaus noch keine vorherrschende Neigung hervor; es fehlte der anregende Anstoss von aussen; sobald dieser gegeben ward, so musste sie sich in aller Kraft entwickeln, wie sich nachher zeigen wird. Um meine Gesundheit zu stärken, gaben mich meine Eltern zu demn Prediger Horn nach Dalldorf in Pension, wo ich, von geistiger Anstrengung frei, ganz dem Genusse der Landluft leben sollte. Höchst schmerzlich war mir diese erste Trennung von meiner Familie, und meine Sehnsucht nach den Eltern war fast unerträglich; ich konnte oft Stunden lang in Thranen zerfliessen. Ich schrieb die zärtlichsten Briefe an meine Teuren, in denen ich sie mit allerlei Liebesnamen benannte. Aus dieser Weichheit meiner damaligen Stimmung entstand eine gewisse poetische Richtung. Ich machte mehrere Gedichtchen, in denen sich die kindliche Liebe zu den Eltern aussprach. Diese Richtung ging später auf

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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"Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd4263.0002.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed April 30, 2025.
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