Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

- 263 - mindestens die Unwahrscheinlichkeit einer solchen bewussten aber verschwiegenen Abhängigkeit sich ergiebt, aber sie sind sämmtlich nicht derart, dass sie eine weitere historische Nachforschung überflüssig machten. Die Frage steht also meiner Ansicht nach so: Hat man die bisherige Meinung von dem Plagiat des Descartes allein darauf gebaut, dass man sich sagte, Descartes müsste nach seiner Uebersiedelung nach Holland 1629 unbedingt, aber auch nur unter dieser Bedingung, das Snell'sche Gesetz erfahren haben, so hat die historische Untersuchung ergeben, dass dann ein Plagiat unmöglich ist, weil er schon 1627 oder 1628 das Brechungsgesetz kannte, er es also selbstständig gefunden haben musste. Giebt man, und das wäre nun die neue Phase, in welche die Streitfrage eintritt, dem Jahre 1629 eine so entscheidende Bedeutung nicht, so kann sich Descartes entweder 1617-19 oder 1621-22 direkte Kunde von dem Gesetz verschafft haben, er muss dann aber Snell persönlich begegnet sein49). Hier lässt uns die historische Untersuchung zunächst im Stich; wir wissen nicht, wann Snell sein Gesetz formulirt hat, doch scheint es, nach den Werken, die er herausgab, zu urtheilen, erst nach 1621 gewesen zu sein. Ist dies der Fall, so müssen wir Descartes als selbstständigen Entdecker des Brechungsgesetzes ansehen, da er nach dem Frühjahr 1622 bis zu seinen optischen Entdeckungen Holland nicht wieder betritt. Ist es dagegen nicht der Fall, so bleibt es immer sehr unwahrscheinlich, dass von allen Gelehrten damaliger Zeit nur der junge und in Holland nur gelegentlich sich aufhaltende Descartes es gewesen sein soll, der von dem Gesetz Kunde erhielt. Endlich aber ist es, wenn sonst die Deutung jenes Briefes an Beekmann zulässig ist, wie wir sie oben und in Anmerkung 29 versucht haben, nicht unmöglich, dass Descartes bereits während seines ersten Aufenthalts in Holland 1617-19 auf die optischen Eigenschaften der Kegelschnitte gestossen ist, und dann würden wir Descartes bedingungslos als selbstständigen Entdecker des betreffenden Gesetzes ansehen müssen, zumal er auf einem durchaus originellen Wege auch später die damit in Zusammenhang stehenden Untersuchungen durchführte. Jedenfalls glauben wir berechtigt zu sein, die augenblicklich geltende Meinung von des Descartes Plagiat fallen lassen zu können und uns eine bedeutend günstigere Ansicht von seiner selbstständigen Entdeckung des Brechungsgesetzes bilden zu dürfen.

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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