Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.

- 228 fassung jenes Werkes als eine besondere Leistung hervorheben. Worin bestehen also die Verdienste des Ghetaldi und welchen Werth kann man seiner letzten Leistung zuschreiben? Wir glauben berechtigt zu sein, wie folgt zu schliessen und zu urtheilen. Als Mann der Wissenschaft und von eminent-mathematischen Talenten begabt, begriff Ghetaldi sofort, dass der Mathematik neue Bahnen eröffnet waren. In seine Heimath zurückgekehrt, scheint er die gesammelten Erfahrungen sozusagen geordnet, und dadurch erkannt zu haben, dass die Anwendung der Algebra auf die Geometrie als die Pforte eines neuen Weges zu betrachten sei. Er muss begriffen haben, dass die Verschmelzung beider Gegenstände zu einer einzigen Wissenschaft reiche Früchte tragen müsste, er hat vielleicht geahnt, dass diese neue Methode das ganze bisherige System der Mathematik umwälzen wird. Denn hätte er nicht ähnliche Gedanken gehabt, so würde er es vorgezogen haben, die vor ihm bereits betreten gewesene Bahn noch weiter zu verfolgen, um sich durch neue Entdeckungen Ruhm zu verschaffen. Er hat aber vorgezogen, das bereits erkmrpfte Wissen zu ordnen, systematisch zu regeln, und durch zweckmässige Behandlung populär zu machen. Sein Werk trägt den Charakter eines förmlichen Lehrbuches vollständig an sich. Aber auch in wissenschaftlich-meritorischer Beziehung unterscheidet sich Ghetaldi durch seine "de Resolutione" von allen seinen Vorgängern wesentlich. Denn bisher war die Anwendung der Algebra auf die Geometrie rein nur ein Mittel zum Zweck; man bediente sich der geometrischen Construktion um bei der Lösung der höheren Gleichungen eher zum Ziel zu gelangen, ohne jedoch dieser Verschmelzung der Algebra mit der Geometrie eine weitere Wichtigkeit beizulegen, und auch ohne daran zu denken, diese Methode systematisch für weitere Zwecke in Aussicht zu nehmen. Man bediente sich der geometrischen Construktion eben nur im Falle der Noth, und man construirte mit ihrer Hilfe die Gleichungen des III. Grades ohne zu denken, dass auf gleiche Art jede andere arithmetische Aufgabe lösbar sein müsste. Und diese Verdienste sind eben dem Ghetaldi einzig und allein zuzuschreiben. Indem er von der Summe und Differenz ausgegangen ist, hat er die Gleichungen des ersten und zweiten Grades in geregelter Folge behandelt und systematisch dargestellt. Mit wenigen Worten, Ghetaldi hat die Anwendung der Algebra auf die Geometrie als Gegenstand eines besonderen Studiums angesehen und die Bahn verzeichnet, welche seine Nachfolger zu verfolgen hatten. Die ersten Bücher der Geometrie des Descartes, welche im übrigen um volle sechs Jahre später als die Geometrie des Ghetaldi erschienen ist, enthalten somit durchaus nichts Neues, sondern nur dasjenige, worüber Ghetaldi schon geschrieben hatte. Wir bedauern, dass das Werk des Ghetaldi älteren bedeutenden Historikern, wie einem. Montucla, so gänzlich unbekannt war;

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Title
Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik.
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Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1877-99.
Subject terms
Mathematics -- Periodicals.
Mathematics -- History.

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