Über die Theorie des Kreisels. Mit 143 Figuren im Text.

534 VII. Einflus voni Reibung, Luftwiderstand, Elastizitäatet6.grinder der analytischen Mechanik, bei Lagrange, geltend. Er erwähnt an keiner Stelle seines Werkes die Reibung der festen Körper auf einander. Diesem nicht nachahmenswerten Beispiele folgt auch Kirchhoff in seinen Vorlesungen über Mechanik. Und doch ist die Reibung, nächst der Schwere, wohl die wichtigste Kraft in unserem Dasein. Gewöhnlich wird sie als etwas Schädliches und Unerwünschtes angesehen. In der That rühren die Energieverluste und daher die Betriebskosten bei all unseren Maschinen, Fahrzeugen etc. zum gröfsten Teil von irgend einer Art Reibung her. Es hiefse jedoch ungerecht sein, wenn man die wohlthätigen Seiten der Reibung verkennen wollte. Nur die Reibung ermöglicht es uns, dafs wir uns auf unserer Erde nach Belieben vorwärts bewegen können, sei es durch die Kraft unserer Glieder, sei es mit Hülfe irgend eines Gefährtes. Man erinnere sich z. B., dafs im Betriebe der Strafsenbahnen, wenn durch Eisbildung der wohlthätige Einflufs der Reibung zwischen Rad und Schiene geschwächt ist, der Wagen nicht von der Stelle kommt. Weiter aber: Die Reibung ermöglicht es mir, den Federhalter zwischen den Fingern zu halten, falls ich nur - entsprechend dem unten zu besprechenden Reibungsgesetze - die Finger mit einem genügenden Druck gegen den Halter presse. Die Reibung verhindert die Bücher, die auf meinem (doch gewifs nicht genau horizontalen) Schreibtische liegen, der Schwere folgend zur Erde hinab zu gleiten; sie verhütet, dafs der Berg, der vor meinem Fenster liegt, zu Thale kommt und die Stadt verschüttet. Woher rührt es nun, werden wir uns fragen, dafs trotz ihrer mafsgebenden Wichtigkeit für alle irdischen Verhältnisse die Reibung in der theoretischen Mechanik so wenig Beachtung findet? Ein Grund hierfür ist historischer Natur. Das älteste Anwendungsgebiet der mechanischen Lehren und der älteste Zweig der mathematischen Naturwissenschaft überhaupt ist die Astronomie. Die Begründer und Hauptförderer der Mechanik, Galilei, Newton, Lagrange, Laplace haben wesentlich astronomische Fragen bei ihren Untersuchungen im Auge gehabt. Dadurch ist es gekommen, dafs die theoretische Mechanik ein Gewand bekommen hat, das wesentlich für astronomische Zwecke zugeschnitten erscheint. Die Himmelskörper nun bewegen sich merklich reibungslos im luftleeren Raume und können für die meisten Zwecke als einzelne Massenpunkte angesehen werden. In der Mechanik des Himmels also - aber auch nur hier - treten die Reibungserscheinungen zurück. Hier steht das Problem der n frei im Raum beweglichen Massenpunkte, die mit konservativen Kräften auf einander wirken, im Mittelpunkte des Interesses, ein Problem, welches vielfach den Hauptgegenstand der Vorlesungen und Lehrbücher

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Title
Über die Theorie des Kreisels. Mit 143 Figuren im Text.
Author
Klein, Felix, 1849-1925.
Canvas
Page 525
Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1897-1910.
Subject terms
Tops
Precession
Nutation
Latitude variation
Gyroscopes

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"Über die Theorie des Kreisels. Mit 143 Figuren im Text." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/abv7354.0003.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed May 28, 2025.
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