Über die Theorie des Kreisels. Mit 143 Figuren im Text.

~ 9. Der Nachweis der Erdrotation durch die Kreiselwirkung. 739 Bei der nun folgenden Bewegung beschreibt die Figurenaxe im Raume einen Präcessionskegel um die Impulsaxe von dem soeben bestimmten Öffnungswinkel 3ß. Dagegen beschreibt eine mit der Erde fest verbundene von 0 auslaufende Richtung vermöge der Erdrotation einen Kegel um die Rotationsaxe der Erde. Aus der Verschiedenheit der Kegel ergiebt sich, dafs auch der nicht eigens angedrehte Kreisel, von der Erde aus beurteilt, Bewegungen ausführen würde und also (bei gänzlich ausgeschalteter Reibung) im Sinne Foucaults als Gyroskop funktionieren würde. Natürlich ist aber auch die Voraussetzung, dafs sich der Kreisel im Anfangszustande genau in relativer Ruhe gegen die Erde befunden habe, unzulässig. Selbst bei sorgfältigstem Experimentieren wird die Kreiselaxe relativ gegen die Erde eine Anfangsgeschwindigkeit haben, die mit Rücksicht auf die Geringfügigkeit der Erdrotation möglicher Weise gröfser sein kann wie die der letzteren entprechende Geschwindigkeit. Der anfängliche Impulsvector, der sich aus dieser Geschwindigkeit zusammen mit der Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation bestimmt, kann dann jede beliebige Lage und der Präcessionskegel, den die Figurenaxe um diesen Impulsvektor beschreibt, jede beliebige Winkelöffnung haben. Wenn z. B. durch den anfänglichen Anstofs die Komponente der Erdrotation nach der Figurenaxe des Kreisels gerade aufgehoben, die Eigenrotation des Kreisels mithin zufällig Null wird, so würde der Impulsvektor in eine äquatoriale Axe fallen; der Präcessionskegel würde dann in die zu dieser Axe normale Ebene ausarten. Wenn andrerseits die Komponente der Erdrotation nach der Aquatorebene des Kreisels durch den anfänglichen Anstofs zufällig aufgehoben wird, so würde der Präcessionskegel unendlich schmal werden und mit der Figurenaxe zusammenfallen; diese selbst würde dann im Raume absolut stillstehen. Mit Rücksicht auf derartige unkontrollierbare geringfügige Anfangsimpulse würde also die weitere Bewegung des Kreisels völlig unsicher werden. Und nun ist die Sache die, dafs man dieser Unsicherheit entgeht, wenn man dem Kreisel eine gegen die Erdrotation grofse Eigenrotation erteilt. Hierzu würde z. B. schon eine Geschwindigkeit von einer Umdrehung pro Sekunde genügen, da dieselbe 24 * 60. 60 mal gröfser als die Geschwindigkeit der Erdumdrehung ist. Etwa mit dieser Umdrehungsgeschwindigkeit hat Foucault in der That gearbeitet*). Der Gesamtimpuls des Kreisels, der sich aus diesem absichtlichen Eigen*) Vgl. hierzu Instructions sur les experiences du gyroscope; in dem Buche: Becueil des travaux scientifiques de L. Foucault, Paris 1878, p. 417. 47*

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Title
Über die Theorie des Kreisels. Mit 143 Figuren im Text.
Author
Klein, Felix, 1849-1925.
Canvas
Page 725
Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1897-1910.
Subject terms
Tops
Precession
Nutation
Latitude variation
Gyroscopes

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"Über die Theorie des Kreisels. Mit 143 Figuren im Text." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/abv7354.0003.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed May 30, 2025.
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