Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

In-finitesimalbetrachtungen. Kepler. Cavalieri.82

829

gerade damals noch lebliaftes Interesse erregenden Frage des Contingenzwinkels seine Rolle spielte.
Wenn somit das Werk von 1615 als emn fdr die Entstehung der
Infinitesimairechnung grundlegendes in dem. Sinne gelten muss, als
die Zerlegung eines Raumes in Elementartheile nnd deren Vereinigung
zu einer Summe der Lehre von den bestimmnten Integralen vorgriff,
und als das llauptmerkmal ausgesproehen wa, weiches mit dem Vorhandensein eines Maximaiwerthes verbunden ist, so war doch noch
keineswegs jeder Irrthum. ausgesehiossen, wie wir z. B. oben an der
Vergleichung von Citroneni- und Kugelabschnitt gesehen haben. Zur
voilsilindigen Wtirdigung Kepler's reiclit auch die Doliometrie nielit
aus. Man wird bei einer soichen immer den Astronomen Kepler als
der Beurtheilung unterworfen. zu betrachten haben, dem. seine Verdie-nste urn einzelne Theile der Physik wie der reinen Mathematik
zur grossen Zierde gereichen, ohne das Wesentlicliste seiner Leistungen
darzustellen. IUnd auch wenn wir, wozu wir hier gen~ithigt sind, aus
dem. angeftilirten Grunde auf eine zusammenfassende Wiirdigung
Kepler's verzichtend seine einzelnen reinmathematischen Arbeiten besprechen, kdnnen. wir noeh niclit der Aufgabe uns zuwenden, die
Wirkung zn verfolgen, welehe das Erscheinen der Doliometrie tibte,
bevor wir noch zwei Einzelheiten. aus anderen Seliriften Kepler's erwiihnt haben werden, welch e gleiclifalls bis zu einern gewissen Grade
der Jnfinitesimalrechnung angeh6ren.
iDahin geh~irt erstlich die Rectification von Curven. Kepler
hat in der Astronomia nova von 1609 sieh daran versucht. Der Urnfang der Ellipse von den Axen 2 a, 2 b sei sehr nahezu, proxime,
gemessen durch z(a ~ b) 1).
Zweitens ist eine Untersuchung zu nenneni, welehe zur Au swer -
thung des bestimrnten Integrals /
fin cp -d(p 1 Cosq
0
gefifihrt hat'2). Wir wissen, dass 1609
die Jahreszahl des Erscheinens der
Astronomia nova war. In ihr hat
Kepler eine Lehre von einem planetarischen Magnetismus aufgestellt, verrn~ge dessen die magnetische Sonne S
(Figur 149) auf die magnetisehen Pla- Fig. 149.
')Opera Kepleri HII, 401. 2) Gfinther, Ueber eine merkwiirdige Beziehung zwischen Pappus und Kepler (Enestr6m's Bibliotheca mathernatica 1888,
pag. 81-87).