Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

656

70. Kapitel.

Mancherlei Schriften griechischer Geometer hat Pi'e r re H 4r i
go ne'1) in einem Sammeiwerke herausgegeben, welehes zuerst 1634,
dann 1644 sowohl in franz~isischer als in lateiniseher Sprache gedruckt ist. Cours mat hernatique ist der Titel des im Ganzen sechsb~indigen Werkes, von welehem aber nur der erste Band jene alten
Sebriften enthiilt: die Elemente und Daten Euklid's und solche Wiederherstellungen von Abliandlungen des Apollonius, welehe Vi eta,
Sn elli is, Glie tal di geliefert battenw Als eigene Zuthat IHerigone's
ist eine Zeicheusprache hervorzuhebein, deren er sich, wenn auci nichit
ausnahmslos, bediente, und welehe als Vorlauferin aligemeinerer spalter
dureli L ei buniz veranstalteter Versuche betrachtet worden ist2). Als
Gleichheitszeichen benutzt er 212. Ist dagregen eine 3 durch eineii
Verticalstrich von einer 2 getrennt, so ist dadurch Ungleichhei t
angezeigt, und. zwar stelit das Griissere auf Seiten. der 3. Ist also
eine Strecke a gro5sser als eine solehe b, so kann man entweder durch
a 312 b oder nach Belieben auci dureb b 213 a dieses zur Anschaunug
bringen. Emn Verihiltniss wird durch z als Anfangsbuchstabe von
Proportion bezeichnet. Mithin hat 4vr6 212 10x15 bei He'rigone die,
IBedeutung: 4 verhalte sich zu 6 wie 10 zu 15.
Die euklidischen Porisruen fainden einen Wiederhersteller in
Albert Girard3). Von semnen Lebensumstiinden ist nur Weniges
bekannt. Die durch ihn besorgte Gesammtausgabe der Werke von
Simon Stevin ersehien 1634, und. in dem Widmungsbriefe beklagt
Girard's Wittwe nebst 11 Kindern den nun emn Jalir alten Verlust,
des Gatten und Vaters, der niclits hinterlassen habe als einen gtiteni
Namen. Daniit ist eine Tagebuclibemerkung von Constantin Hluygens
in Uebereinstimmung, welche den 9. December 1632 als Girard's
Todestag nennt 4). Aus einigen Anmerkungen der Stevin -Ausgabe
geht ferner hervor, dass Girard in den Niederlanden fremd war und
in gehiissiger Weise eines gewissen Cardinals, offenbar des Cardinals
von Richelieu, gedenkt. Nimmt man hinzu, dass Girard ausschliesslich franz~isisch geschrieben hat, so gewiunt die Mutlimassung an
Wahrseheinlichkeit, er sei franziisischer Protestant gewesen und seines
Glaubens wegen nach den Niederlanden ausgewandert. Die Wahrscheinlichkeit wird. vollends zur Gewissheit durch den Ortsbeinaimeii
1) Kilstner III, 463-50. 2) La logique math~matiqae avant Leibniz par
Gino Loria im Bulletin Darboux fflr 1894. 3) Terquem in den Nouivelles
annales de mathe'matiques XII, 195 (1853). - G. A. Vorstermnann van Oijeul
irn Bulletino Boneompagni III, 359-362 (1870). - Paul Tannery im Bullet.
Darboux 20 S6rie T. VII (1883). - H. Dannreuther in den ]kkroires de la Socijtj des lettres, sciences et arts de Bar-le-Duc, 3e Se'rie T. III (1896). 4) Kortewe g im Intermuidiaire des rnathrntaticiens II, 193 (Paris 1895).