Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

41. Kapitel.

Leonardo von Pisa und sein Liber Abaci.
Leonardo der Pisaner und Jordanus Nemorarius! Mit diesen
beiden Namen einen neuen Zeitabschnitt in der Geschiebte unserer
Wissenschaft anklindigend schloss der I. Band. iDie gleichen Namen
rnissen uns jetzt die Ueberschriften der ersten Kapitel dieses II. Bandes
liefern. Wir beginnen mit Leonardo von Pisa.
Seine Yaterstadt,2 an der MiUndung des Arno gelegen, bildete mit
Genua und Venedig die unter sich feindliche Dreizahi der miichtigsten Handelsstiiidte Italiens urn das Jahr 1200. Mit dieser Bezeichnung ist der Kern der politischen ZustiInde der Appeninenhalbinsel
enthifIlt. Innere Zwistigkeiten, grossartige ilandeisbeziehungen, das
sind die Brennpunkte mittelalterlichen Staats- und Stiidtelebens in
Italien. Die Bevbilkerung war zusammengewiirfelt aus den versehiedenen Sftiimmen, welche theils nebenei-nander theils nacheinander
die Herren des Landes gewesen waren. Altr~imische, griechisehe,
gothische, longobardi sche, friinkische Elemente waren. in dem V61lkerbrei aufgegangen, liessen aber gleicliwohi an einzelnen Orten sich
noch deutlich auseinanderhalten 1). Araber waren (Bd. I, S. 664) dureli
Mehrere Jahrhunderte im Besitze von Sicilien gewesen und nur theilWeise am Ende des XI. Jahrhunderts durch Normannen verdrangt
worden. Bis in's XII. Jalirhundert hinein reichen die Spuren von
Inehr als nur vereinzelten Bekennern des Islams auci auf dem italienischen Festlande. Weiss doch noch 1114 Donizo, der Verfasser
einer Lebensgeschichte der Grilfin Mathulde von Toscana, von den
viele, ileiden, Tiirken, Libyern, Parthern nnd schwarzen Chaldiiern
zn erziihlen,2 die in Pisa ihr Wesen trieben 2). Stammesgegensiitze
lInigen demnach vielfach den Grund, w enn nicht den Anlass zu
bintigen Feliden der einzelnen Stiidte gegeben haben. Verschkift
Wurden sie durch politischen und kirehlichen Zwiespalt. Wo Papste
1) Lib ri, Hlistoire des sciences mathe'matiques en Italic I, 156 Note 1. Wir
Citiren dieses Werk kiinftig kurzweg als Libri. 2) Monum. G-ermian. S. S.
Xii, 379