Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

Ttalie-ni~see Matheinatiker. 155
welehe unbewiesenen Behauptungeni des Geschichtsscb rei bers der
italienisehen Mathematik gegenilber geboten ist, nehmen wir als
richtig anr, was er mittheilt1), dass im XIV. Jalirhunderte mehrere
hlinudert Thinde mathematischen Inhaltes in Italien verfasst wordlen
seien, und es wiire gewiss wiinsehenswerth, dass emn Faclimann sich
der, wenn auch sieherlich grossen und keineswegs immer lohnendenl
IMijhe unterz~5ge, anl Ort und Stelle die llandsehriften zu priifen und
das geschichtlich Wichtioge vollstindio' oder mindestens im Auszuge
zu ver~iffentlichen.
Eine Verb5ffentlichung2), welehe stattgefunden hat, erweist sieli
bei allein Interesse, das ihr innewohnt, als geeignet, das Bild weit
eher eines Rilckganges als einer fortschreiteilden Entwick-lung hervorzurufeii. Introductorius liber qui et pulveris dicitur in mathernaticaw
discqiplinat lautet der Titel euler Niederselirift aus der zweiten Hltilfte
des XIV. Jahrhunderts, und schon dieser Titel muss unser Stauneii
erregen und giebt zunaclist zu verwunderten Fragen Anlass. 1st das
kleine Buch in Italien entstanden, oder nur nach Rom verbracht
worden? Ist es eine lateillisch verfasste oder aus dem Arabisehen
iiersetzte Arbeit? Ist sie im XIV. Jalirhunderte verfasst oder damals
nur abgeschrieben? Diese drei Fragen stellen sogar, je naehdem sie
beautwortet werden, unsere Berechtigung grade hier von jener Schrift
zu reden in Zweifel. Die erste Frage wird kaum genligend beanitwortet werden kbnnen, die zweite aber muss wohl dahin entschieden
werden, dass dieses,,einleitende Bueli des Staubes" nicht ilbersetzt
NOt). Erstens fehit jede gebetartige Gottesanrufnng, ohne welehe
eiac arabisehe Schrift kaum denkbar ist; zweitens fehlt jede Bezugnahmic auf Inder, Pythagoras, jede Vergleiehmng der Zahizeichen mit
arabischen Buehstaben, wie sie gleichfalls kenuzeichnend fUr die Erzeugiiisse arabischer Reehenmeister si-nd; drittens ist ein Kapitel, wie
wir naoch sehen werden,2 den r6mischen Minutien gewidmet, was bei
arabisehein Ursprunge gradezn unm~iglieh weire. Wie aber dain die
dritte Frage zu beantworten sei, seheint uns gleiehfalls kaum zweifelhaft. lDer lIihalt ist so viel geringer als der voni irgend anderen in
XIV- Jahrhunderte vorhandenlen Schriften, dass wir an eine Abschrift
71glauben uns nicht im Stande ffflhlen. Emn so schwaehes Erzeugniss
kanin jedem Jahrhunderte einmal n'iedergeschrieben werden, und
(der ungerechte Zufall kann es vor dem Untergange bewahren, aber
1) Libri if, 204 und 21~2 Note. 2) Sui' un manuscrit du Vatican dm XIVe
"'~'clemiotervant un traitcj (le calcul cmpruntj ~( laf methodlc Gobdr-i. Lettrc de
it., Ifelvl Narducci 4i Al. Aristide Miarre (1883), Sonderabdruck aus dean Bulletiin
Dar(boux. 3) Der gleichen Meinung ist II. N a rd1ucc i: il s'agit ici d'un tra""Il or'iginl ~crit et publii en Occident.