Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

76

3. Kapitel.

Iran, besonders in dem n~rdlichsten Theile, der spiiter Medien genamit
wurde. Die Sumerier drangen dann weiter siidlieh bis nach Chald~a
vor. Und emn zweites Yolk kam ebendahin 1). Es war gleichfalls
im Osten, aber weiter sidlich aufgebrochen. Es kam der Ueberlieferung gemiiss aus dem Lande Kusch, welches man in Baktrien zu
suchen hat. Es fiihrte demnach den Namen der Ku schit en und hat
auf seinem Wege diesen Namen auf das Gebirge des llindnknsch Uibertragen, weiches das Hochland von Iran, wo wir die Turanier Niederlassungen grfindend fanden, von den Ebenen der Bucharei trennt.
Die Sumerier sprachen eine jeiier sogenannten agglutinativen Sprachen,
in weichen alle mdglichen Beziehungen vermitteist neuer Bestandtheile
bezeichnet werden, die sich mit den Wurzeln nie verschmelzen, also
nie das hervorbrinigen, was man Beugung zu nennen pflegt. Die
Sprache der Kusehiten dagegen war dem Hebriaiischen und Arabischen
sehr -nahe verwandt, sie war eine semitische Sprache, und die Meisten
nehmen auch geradezu an, Semiten und Kusehiten seien nur zwei zu
versehiedenen Zeitr'aumen zur Gesittung gelangte Theile emn und
derselben Rasse.
Die erste Begegnung von Sumeriern und Kuschiten auf chaldiiischem Boden. gehdrt in die vorgeschichtliche Zeit, emn Wort, dessen
Geltuingsgebiet gegen friiher weit zuriickiverlegt ist, seitdem die Entzifferungskunde alter Denkmaler gestattet hat, selbst als mythisch
geltende Zust'ainde und Ereignisse n~her zu beleuchten. Aber so weit
man auLch die Ziele der Geschichtswissenschaften stecken mag, sie
reichen nicht weiter als schriftliche Aufzeichnung, und soiche sind
uns in Cbaldaia nur aus der Zeit der erfolgten Vereinigung jener
Volkselemente erhalten, geben fiber die Vereinigung selbst keinen
Aufschluss. Dagegen wissen wir aus einheimischen und fremden
schriftlichen Denkmalern Mancherlei fiber die Schicksale des Mischvolkes. Sein staatlicher Verband blieb keineswegs unverdindert, ilauptst'a'dte und Filrstengeschlechter wechselten. Auf Ninive folgte Babylon,
auf dieses wieder Ninive als Herrschersitz. Das altassyrische, das
babylonische, das zweite assyrische Reich listen einander in geschichtlicher Bedeutung ab, in bald siegreichen, bald ungiin stig verlaufenden
Kampfen unter einander und mit den Nachbarvi~lkern, den llebrfierin,
den Ph'6'nikern, den Aegyptern, bis endlich das Perserreich Alles
verschlang.
Wir haben einheimische Schriftdenkmidler erwiihnt. Deren Schrift
war, wie man annimmt, urspriinglicl eine Bilderschrift, welche aber
verm~5ge der gewilhlten Unterlage eine eigenthilceUmidnur

1) Maspero-Pietsebmann S. 141 flgg-.