Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

Die Mathematiker unter den Abbasiden. ~Die Geometer unter den Btijiden. 693
Die Zeitfolge ftihfrt uns zu einem Manne, welcher in ganz anderer
Richtuug arbeitete, und dessen Name untrennbar verbunden ist mit,
der Gesehichte der Einftihrung der trigonometrischen Funktionen im
Abendlanide, zu Albategnius, wie die Uebersetzer ihn genannt
haben'.). Muhammed ibn Dscha'bir ibn Sinan Ablt 'A~bdalla'h al BattnI'tI
fiihrt semnen Beinamen nach BattAn in Syrien, wo er geboren, ist,
und weichem er zur Bertihfmtheit verholfen hat. Er stelite 878-918
in Ar -Rakka astronomische Beobaclitu-ngen an, weiche von semnen
Landsleuten als die genauesten gefeiert Worden sind, die irgend jemand
gelungen seien, der unter dem Islam gelebt hatte, und mit niclit gerjingv~rem Lobe haben sie seine Selirift Uiber die Bewegung der Sterne
'bedacht, weiche im X1I. S. dureli einen Uebersetzer Plato von Tiyoli, der uns seiner Zeit noch beschiiftigen wird, unter der Ueberschrift De motu oder De scientia, stellarum in Iateinischer Sprache
bearbeitet wurde. Aus dieser Uebersetzung s'oll. das Wort sinus als
Name einer trigonuometrischen Funktion in die Mathematik aller
V61lker eingedrungen sein. Der Ursprung des Wortes wiire dann
inach aller Wahrscheinlichkeit folgender2). Die Benennung der Sehne
war im Sanskrit jya' oder jtiva, die der halben Sehne ardhajya- (S. 61t).
Allmiilig wurde, da man nur die halbe Sehne trigonlometrisch verwerthete, das kllrzere jiva audi' ffir diese belnutzt und drang so zu
den Arabern, weiche es in seinem Wortlaute, wie sie ihn verstanden,
ilbernalimen und dsch'iba selirieben. Genan dieselben Consonanten,
weiche arabisch dsch'iba zu lesen sind, lassen aber audi die Lesung
dscha~b zn, weiches emn wirkliches arabisches Wort ist und den Emnschnitt oder Busen bedeutet. Nun wird angenommen, die Ueberlieferndass man, fair den Araber sinnios, dsch'iba lesen miisse, sei
verhaltnissmidssigr friflizeitig ablianden gekcommen, und die Lesart
dschaib sei dafiir die regelm~issige geworden. Jedenfalls Ubersetzte
Plato von Tivoli dschaib dureli das ganz richtige Wort sinus, weiches
von nun an sich forterbte. Neneste Untersuchungen 3) stellen diese
gauze Kette von Vermuthungen wieder sehr in Zweifel. In der Uebersetzung des Plato von Ti~voli soil das Wort Sinus tiberhaupt nicht
vorkommen. Nur im Abdrucke derselben von 1537 stehe einmal
sinus versus, walirseheinlich aus einer Randbemerkung Regiomontans,7
des Besitzers der abgedrnckten Handschrift, irrthflmlich in den Text
hereingekcommen. Dass iibrigens die Araber das indisehe kramajya'
1) Hankel S. 241 und 281. 2) Die hier folgende ilypothese stammt von
dem )eariser Orientalisten M un k her.' Vergi. W o e p e ke in dem. Journal Asiatique
1863, I. Halbjah~r, pag. 478, AnmerkUng. 3) Max Koppe, Die Behandlung der
Logarithuien und der Sinus im, Interricht. Osterprogramm 1893 des AndreasRealgymnnasiums zu Berlin. S. 32-34.