Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

Aelteste Rechenkunst und Feidmessung.49

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plum. Die staidtische Anlage dagegen gehdrt unter den genannten
Begriff. Die italische Stadt niamlich entsteht nicht gleich der modernen und mittelalterlichen im langsamen Verlaufe der Zeiten von
einzelneu H~iusern zum Dorf, vom Dorfe zur Stadt anwaclisend. Sie
wird auf eiumal geschaffen dureli eine einzige politisch-religi'6se Handlung. Sie weiss ihren Griinder, ihr Griindungsjahr, oftmals ihren
Griinduugstag zu nen-nen, den man daun alljiihrlich als stacitisehes
Fest feiert.
Die Bedingung, welehe nun soldier Absteekung von Grenzen
die Gesetzm~issigkeit verleilit, besteht darin'), dass der Gesichtskreis
dureli zwei senkrecbt zu einander stehende Gerade in vier Theile geschnitten werde, und dass die Geraden emn flir alle Mal die Richtungen
fUr die Seiten der reeliteckigen Einzelgebilde abgeben, mo-gen Hituser
oder Feldstiicke, Zimmer oder TempeIraume diese Einazelgebilde sein.
Die beiden Riclitungen werden liberdies niclit willkiirlich angenommen,
sondern sollen mit den Verbindungslinien der einander gegenilberlieogenden llaupthimmelsgegenden tibereinstimmen.
Wir erinnern uns, dass eine derartige Orientirung religi6sen
Zweeken dienender Baulichkeiten uns auch an anderen Orten bemerklich wurde, dass wir (S. 15) zum, voraus ankiindigten, wir wiirden
in der huiufig vorkommenden Thatsache selbst keinen Grund erkennen,
eiue Uebertragung von einem Volke zum anderen mit Notliwendigkei't annehmen zu. muissen. Wir finden es angemessen zus~itzlich
hier zu bemerken, dass eine soiche Uebertragurig fuir die altitalischen
Orientirungen weniger als irgend sonstwo anazunehmen sein wird.
Jedenfalls hat hier und nur hier der Orientirungsgedanke eine Entwicklung genommen wie sonst nirgend, hat er die Erriclitung fast
jedes Gebgiudes, fast jeder Verbindung von Gebii'uden in so folgericlitiger Weise, wie wir es scion andeuteten, beeinflusst. Niclit
bloss emn einzelner Tempel, die r6mischen Gesetzen unterworfene
Welt war nach einem einzigen rechtwinkligen Coordinatensysteme
geordnet2), und wir werden auf diesen Gedanken noch zuriickzugreifen haben.
Die Abscissenaxe des gemeinsamen Systems war die 0Ostwes tlinie, dessen Ordinatenaxe die Stidnordlinie oder Mittagslinie.
Allerdings zeigen die Trtimmer von Tempein, von Sti~dteanlagen und
dergleichen, welehe man genauer auf ihre Lage zu priifen noch nicht
1) Agrimensoren S. 65 flgg. 2) Nissen, Das Templum S. 165:,,Seit
Augustus war der Culturkreis des Mittelmeeres zu einem einzigen politischen
Ganzen geschlossen worden; das Templum, welches eiust auf den palatinischen
Hligel beschriinkt gewesen war, hatte sich ausgedehnt in inmner weiteren Kreisen
Und a-njetzt war das letzte und gr~sste Templum constituirt worden."
CANTOR, Geschichte der Mathematik I. 2. Aufi. 32