Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

Mathematiker an deutschen Universit~ten.40

407

und von seinem. thatkriiftigen Eingreifen in die grosse kirchiehe Bewegung der Zeit weiss die politisehe und Kirchengesehiclite zn orzahlln. Wissenschaftileli besehrilnkte seine Einwirkting si ch gloichfalls keineswegs auf die beiden, Fdcher, mit welchen sein Beruf iha
verband. Die lBildung des Volkes, so weit die Ausdehnung des Wortes
lBildung gofasst werden miochite, war das hohe Ziel, auf weiches seine
edlen Bestrebungen sich riehteten. Darum. gab die Mitwelt schon
jim den Namnen P-raeceptor Germnaniae, daruin hestiitigt die Nachwelt
(lankbar das schoii alte Wort nnd. nenint ihn den ersten Lehrer
Deutsehlands. Allerdhigs haben wir dabei eine nieht unbedeutende
Einschriinkung vorzunehmen. Die Schule, deren Vorbesserung und.
Veraligemeinerung MNelanehthon und gleich ihm seinam Freundo
Martin Luther am iflerzen lag, war keineswegs die deutsche Volkssehule. Wohi entstaiid diese am Anfiange des XVI. J~ahrhunderts aus
(len Katechisationen, welche mit der Jugend vorzunehrnen die kursiihsisehe Schulordnung von 1528 den Pfarrern vorsehrieb, und zu
deren Vorbereitung emn Unterriclit nothwoadig war, den der Pfarrer
allrniilig auf die Sehultern des Kilsters lud, der von diesem in der
Woehe abgehalton wurde und nach und nach vomi Unterrichte in den
Evangelien auif das Lesen, Psalmensingen, zuletzt auf das Schreiben
sieli ausdehnte. Wohi gab es daneben deutsche, Sehulen, Itehehnsehulen, Schreibschulen, durch ihre besonderen Namen deutlich zu
erkennen gebend, was in jeder einzelnien gelelirt wurde, wobei wir den
'Umfang des Gelelirteni nicht enge genug uns denken kiinnein. Aber
fMr alle diese Schulen hat Molanehthon niemals Vorsebriften gegeben.
Er erachtete sie dessen sieherlich nicht werth. Erst die niedere Lateinsehule, in drei Haufen (wir sagen daftir heute Classen) zerfallend nud
darum Trivialsehule genann t, erfreute sich des Wohiwollens des fair
die Schule begeistorten Humanisten, der so sehr Humanist war, dass
er einen Unterricht nicht wiirdigte, welcher nicht in lateiniseher
Sprache erthoilt wurde, also den Unterrielit in der Lehrspraehe ais
Vorsehulo zur Voraussetzung hatte. Die Sehulmneister, s'agte Melanchthiou, sollon selbst so weit Tni5glieh niehts denti lateiniseh mnit den
Knaben reden. Gelehrt wurde aber in alien drei Classen wieder Ikanim
etwas anderes als Latein. Die Gramma~tik dieser Sprache zu beherrsehen, einoen reichen Wortsehatz sich auzueignen, zahireicho Schriftsteller zu lesen, selbst fliessend lateinisch sprechen zu k~innen, darin
giPfelto der Plan der Trivialsehule. Die Erwerbung von Kenntnissen
in G4eschichte, in Goographie, im liochnen wurde nielt einmial ange —stre bt, geschweige denn erreicht. Das 1{ochnen, wir haben es sehonl
gesagt, veranlasste die Griundung besonderer Reehensehulen, deren
Lebrer sich etwas ll~heres zu sein diinkten als dor Sehreiblehrer