Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.

132 47. Kapitel. Untersuchungen des Oresme und seiner Vorgiinger, gleicliviel wer sic, waren, und wie viel einem Jeden angehiirt, erkennen lassen. Wir sehen hier eine curvenm~issige Darstellung des Verlaufes von Naturerscheinungen vor uns. Wir sehen die Anwendung von Coordinateii, d. h. von gewissen in alien Fiiilen gleichimassig benutzten, an siclh willktirlichen Linien, weiche also keineswegs jenien Hilfslinieii zu vergleichen sind, deren die griechisehen Geometer des grossen Jahir hunderts, die Archimed und Apollonius, sich bedienten. Wohi habeni audi jene gewisse Hulfslinien in einer ganzenl Anzahl von Beweisfillirungen gezogen und dadureli die Beweise gleichmiissiger zu machen gewusst, aber es waren Linien, die den Curven, urn deren Eigenschaften es sich bandelte, scion angeh~irten, weiche zwecknidssig auszuw~hlen eine Entdeckung genanut werden mag, kei-ne Erfindung war. Nur die geographische Linge und Breite kann als Vorbild gedient und die Wahi der Knnstausdrticke beeinflusst haben. Haben wir bis hierher verhiflten wollen, dass man das Neue an den latitudines unterschUitze, so ist niclit minder vor Ueberschiizung zu warneni. Die Lehre von den latitudines ist keineswegs der Methode der spilteren analytischen Geometric gleich zn achten. 1hr fehit das Entscheidenade jener Methode: neben der begrifflichen Uebereinstimnmung zwischeni analytiseber Formel. und geometrischer Form die M~iglichkeit von der Einen zur Anderen ilberzngehen, in welcher Richtung man wolle, und audi nachdem gewisse Zwiscienschltisse nur innerhaib der eineni Yorstellu-ngsreihe vorgenommen wurden. Audi die zuletzt obein im Drucke hervorgehobenen Stellen aindern nichts an dieser Besciriinkuing. Oresme's Augen offenbarte sich die Wahrieit des Satzes, den manl 300 Jaire sp~ter in die Worte kleidete: an den Hdhen- und Tiefpunkten einer Curve sei der Differentialquotient der Ordinate nach der Abscisse Null; dass er ihn bewiesen,2 nur nach einem Bewe'ise sich umigetian huitte, davon ist keine Spur zu. entdecken, und erst mit demn Beweise wurde das scharfsinnige Sehen zum, tiefsinnigen Verstehen. So ist uns die Metiode Oresme's eine Vonhiuferin der analytischen Geometrie. Sic wird den Erfindern derselben, wenn sie ilinen bekannt war, die wesentlicisten Dienste geleistet haben, mlidestens eben so wesentliche als das Studium der griechisehen Cnrvell leire, wenn audi von ganz anderer Seite her, aber cine Erfindtlilig7 blieb noch immer zu maclien. Eine weitere matiematische Abliandlung 1) Oresme's, weiche I 'O5) in Venedig zugleich mit dem Tractatus de latitudinibus im DrnukQ erschien, ist der T ract a t us pr opor t i o num. Wir k~lnnen jvCSCI ') (Jurtze, Oresme III, 4-6.

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Title
Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor.
Author
Cantor, Moritz, 1829-1920.
Canvas
Page 123
Publication
Leipzig,: B. G. Teubner,
1894-1908.
Subject terms
Mathematics -- History.

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"Vorlesungen über geschichte der mathematik, von Moritz Cantor." In the digital collection University of Michigan Historical Math Collection. https://name.umdl.umich.edu/aas8778.0002.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed June 24, 2025.
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