Österreichische Zeitschrift für Volkskunde.

Dieses Projizieren der Euterviertel auf den Flichenrand konnte man zunachst der Unfahigkeit des Schnitzers zuschreiben, den Gegenstand naturtreu wiederzugeben. Es mag aber auch sein, dafi dieser schematischen Darstellung des Euters eine richtige Beobachtung zugrunde liegt. Betrachtet man hnamlich bei einer lebenden Kuh die Euterstriche von der Analseite aus, so erscheinen diese nicht hintereinander, sondern nebeneinander angeordnet und bilden gleichsam eine Reihe von kegelformigen Auswtichsen. Diese Wahrnehmung konnte wohl den Bauer veranlaf3t haben, das Euter durch eine Auszackung des Bauchflachenrandes darzustellen. Der die Spielzeugkuh schnitzende Bauer begniigt sich nicht mit der Darstellung des Euters allein, sondern in seinem Bestreben nach Realismus kerbt er auf der Bauchflache des Tieres auch M i c h a d e r n (Bauchvenen) ein, die ja bekanntlich fur den Viehziichter insofern von Bedeutung sind, als nach dem Grade ihrer Ausbildung die Qualitat der Kuh beurteilt werden kann. Dieses Adernsystem der Spielzeugkuh wird durch einen einzigen oder durch mehrere konzentrisch angeordnete Halbkreise veranschaulicht, von denen einzelne Linien ausstrahlen (Fig. 1.) Eine derartige Kerbschnittzeichnung erscheint demjenigen, der sie zum erstenmal sieht, vollig ratselhaft, und wer nicht zufallig mit diesen Dingen vertraut ist, wird nie vermuten, daf es sich hier um anatomische Einzelheiten handeln sollte. Denn die lineare Anordnung der Milchadern auf der Bauchflache einer Spielzeugkuh entspricht durchaus nicht den wirklichen anatomischen Verhaltnissen. Biekanntlich haben ja bei der lebenden Kuh die Bauchvenen, die zuweilen fingerdick durch die Bauch and hervortreten, einen ganz anderen Verlauf. Es durfte sich also bei dem vorhin eilxhtb^, giatomisch ganz unbegruindeten Adernschema der Spielzeugkuh um eine willkiirliche Linienfihrung handeln, die vielleicht, wie die die Fellzeichnung darstellende Kerbschnittverzierung, nur rein symbolisch den Verlauf der Milchadern veranschaulicht. Priift man die bei primitiven Spielzeugktihen eingeschnittenen Zeichen fUr Euter und Milchadern auf ihre Beschaffenheit hin, so lassen sich dabei mit gewisser Wahrscheinlichkeit einige Ubergangsformen von der ganz detaillierten bis zur einfachsten Zeichnung feststellen. Betrachten wir nun etwas genauer die einzelnen Arten dieser Darstellnngen. Die komplizierteste Zeichnung der Milchadern finden wir im Vrin- und Averstal. Wie schon erwaihnt, werden hier die Euterstriche durch Zacken, die Milchadern durch konzentrische Halbkreise und ausstrahlende Linien veranschaulicht. (Fig. 1, 1 u. 2.) Diese Darstellung des Euter- und Adernschemas ist heute, insbesondere im Averstal, bereits im Verschwinden begriffen und an ihre Stelle ist in den beiden erwahnten Gegenden eine bedeutend einfachere getreten, in der wir noch einzelne Elemente des frtiheren Schemas wiederfinden: zackenformiges Euter, Halbkreis, ab und zu auch ausstrahlende Linien. (Fig. 1, la, 2'a, 2b.) Der Prozefi der Vereinfachung geht aber, speziell im Averstal, noch weiter vor sich in dem Sinne, daBi der die Milchadern bezeichnende Halbkreis verschwindet und auch das Euter nicht mehr durch Zacken, sondern nur durch einzelne vertikale Striche veranschaulicht wird. (Fig. 1, 2c.) Bei den bisher besprochenen Formen waren sowohl das-Enter wle auch die Milchadern dargestellt. In einzelnen Schweizer Gegenden (Wiesen, Evolena, Chateau d'Oex) hingegen finden wir auf der Bauchflache der Spielzeugtiere Zeichen eingeschnitten, die, nach den Angaben der Einheimischen, nur das Euter allein bedeuten sollen. Eine nahere Betrachtung ergibt jedoch, daB einzelne dieser Zeichen allem Anschein nach Elemente der vorhin erwahnten Milchadernschemen in sich enthalten dtirften. So verlauft zum Beispiel beim Euterzeichen einer Spielzeugkuh aus Wiesen der obere Teil der beiden vertikalen Linien ganz ahnlich wie die ausstrahlenden Linien auf dem Adernschema von Vrin. (Vergl. Fig. 1, 3 mit

/ 31

Actions

file_download Download Options Download this page PDF - Page 58 Image - Page 58 Plain Text - Page 58

About this Item

Title
Österreichische Zeitschrift für Volkskunde.
Canvas
Page 58
Publication
Wien.
Subject terms
Folklore -- Periodicals.
Folklore -- Periodicals. -- Austria

Technical Details

Link to this Item
https://name.umdl.umich.edu/acd0698.0029.003
Link to this scan
https://quod.lib.umich.edu/g/genpub/acd0698.0029.003/14

Rights and Permissions

These pages may be freely searched and displayed. Permission must be received for subsequent distribution in print or electronically. Please go to http://www.umdl.umich.edu/ for more information.

Manifest
https://quod.lib.umich.edu/cgi/t/text/api/manifest/genpub:acd0698.0029.003

Cite this Item

Full citation
"Österreichische Zeitschrift für Volkskunde." In the digital collection Digital General Collection. https://name.umdl.umich.edu/acd0698.0029.003. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed April 30, 2025.
Do you have questions about this content? Need to report a problem? Please contact us.