Die Kildare-gedichte; die ältesten mittelenglischen denkmäler in anglo-irischer überlieferung von Dr. W. Heuser ...

weil der Tiere König wie die Machthaber der Zeit die Ge|schenke der einen höher einschätzte, als die Ehrlichkeit des andern. Das Gedicht ist allgemein gehalten; da es die Klagen des kleinen Mannes wiedergibt, sind direkte Anspielungen auf bedeutende politische Ereignisse oder Persönlichkeiten auch nicht zu erwarten. Zustände, wie die hier geschilderten, sind eben keiner Zeit ganz fremd, im Mittelalter waren sie überall mehr oder weniger vorhanden, in Irland aber in höchstem Grade ausgebildet und dauernd herrschend. Das unglückliche Land war nicht allein zerrissen durch den Kampf zweier Rassen, sondern ebenso sehr durch das Treiben der großen anglo|normannischen Feudalherren, denen hier nicht wie in England die Faust des Königs im Nacken saß. Sich selbst überlassen schalteten und walteten sie nach Belieben, ernannten Barone und Ritter, übten Gerichtsbarkeit in ihrem Gebiet, führten Krieg miteinander und den eingeborenen irischen Fürsten, die das Recht ihres Volkes sicherlich mehr achteten, als jene den Willen des Vizekönigs, der den stets abwesenden Herrscher vertrat. Was konnte anders entstehen als grauenhafte Anarchie mit Korruption, Unterdrückung und Bürgerkrieg, und um diese in ihrem ganzen Umfange, um die drei Brüder Coveitise, Pride and Onde handelt es sich in dem Gedichte, nicht bloß um mangelhafte Justiz, wie man nach der eingeflochtenen Tierfabel annehmen möchte (cf. auch Wülcker: Gesch. d. engl. Litt., S. 87). Es ist bezeichnend, daß nicht der ferne Herrscher als Retter aus der Not angerufen wird, sondern die Macht der Kirche und des Landes Recht. Der König wird nicht einmal erwähnt, über þe king is ministris aber ergießt sich der Zorn des Dichters, ebenso wie über die Feudalherren, in denen er nur ein Hindernis erblickt (cf. 1, 7 Men þat beþ in heiiȝist liue Mest icharged beþ wiþ sinne; 3, 8 For lordingen boste þat beþ aboue). Eine agrarische Frage spielt offenbar hinein; oft genug mochten die abenteuernden fremden Söldner (hoblurs) im Dienste der Barone den eingesessenen englischen Kolonisten unter irgend welchen Gründen seines Rechtes auf Grund und Boden berauben (? þat husbond benimeþ eri of lond), ohne daß der Schutz des Ge|richtsherrn zu erlangen war, und hier findet der Dichter den schärfsten Ausdruck: die soll man nicht wie Christen kirchlich begraben, sondern verscharren wie Hunde. Anscheinend spielt hier schon der immer schärfer hervortretende Gegensatz zwischen
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Title
Die Kildare-gedichte; die ältesten mittelenglischen denkmäler in anglo-irischer überlieferung von Dr. W. Heuser ...
Author
Heuser, Wilhelm
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Publication
Bonn,: P. Hanstein,
1904.

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"Die Kildare-gedichte; die ältesten mittelenglischen denkmäler in anglo-irischer überlieferung von Dr. W. Heuser ..." In the digital collection Corpus of Middle English Prose and Verse. https://name.umdl.umich.edu/ajt2514.0001.001. University of Michigan Library Digital Collections. Accessed May 8, 2025.
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