Altenglische dichtungen des ms. Harl, 2253.
Boeddeker, Karl, ed. 1846-, British Library.

III. Luxus der Weiber.

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hatte sich die Sitte ausserordentlich luxuriöser Kleidung in England eingebürgert. Nicht nur die höheren Stände zeichneten sich durch Verschwendung in dieser Richtung aus, auch bei den Bürgern und selbst in den nie|deren Ständen des Volkes hatte die Unsitte der Zeit Eingang gefun|den. Die Geistlichkeit schleuderte die heftigsten Invectiven gegen diese phantastischen Ausschweifungen. Vgl. Hallam, State of so|ciety in Europe during the middle-ages.

Vers und Strophe erinnern an das erste Lied, nur dass beide bedeutend kunstgemässere Anlage und sorgfältigere Ausführung zei|gen. — Der Stabreim muss nicht nothwendig in beiden Vershälften derselbe sein, er kann bisweilen ganz fehlen (wie im vorangehenden Liede).

Eine tiefe sittliche Entrüstung ist die Grundstimmung dieses Liedes. Selbst einzelne anstössig derbe Ausdrücke und Bilder kön|nen uns nicht abhalten, dem Liede einen Kleriker zum Verfasser zu geben: Ein Spielmann aus dem Volke kann die Eingangsstrophe nicht gedichtet haben; er würde einen durchgehend humoristischen Ton angeschlagen haben. — Auch die Gewandtheit der Sprache, die Klangfülle und die grössere Regelmässigkeit in der Ausführung Page  106 des Verses und der Strophe weisen auf den geschulten Mann, den Kleriker, hin. —

Der Dialekt ist südländisch.

In den Pol. Songs von Th. Wright ist das Lied auf pag. 153 zu finden.

[folio 61b] Lord þat lenest vs lyf, ant lokest vch an lede:
     1
fforte cocke wiþ knyf nast þou none nede;
boþe wepmon & wyf sore mowe drede,
Lest þou be sturne wiþ strif for bone þat þou bede
In wunne,
     5
þat monkunne
shulde shilde hem from sunne.
Nou haþ prude þe pris in euervche plawe,
by mony wymmon vnwis ysugge mi sawe.
for ȝef a ledy lyue is leid after lawe,*. [ledy ist Genitivform: "denn wenn eine "ledy" sich standesgemäss (after lawe) kleidet, so . . . . .]
     10
Vch a strumpet þat þer is such drahtes wol drawe.*. [wol, ms. wl.]
In prude
Vch a screwe wol hire shrude,
þah he nabbe nout a smok hire foule ers to hude.
ffurmest in boure were boses ybroht;
     15
Leuedis to honoure ichot he were wroht.
vch gigelot wol loure, bote he hem habbe soht;
such shrewe fol soure ant duere hit haþ aboht.
In helle
wiþ deueles he shulle duelle,
     20
for þe clogges þat cleueþ by here chelle.
Nou ne lackeþ hem no lyn boses in to beren,*. [ne, ms. me; "Nun fehlt es ihnen nicht an Leinwand, um "boses" darin zu tragen." Das Verbum "beren" in dieser Bedeutung kann nicht auffallen, es bedeutete im Altengl. im weitesten Sinne "an sich tragen, an sich haben".]
He sitteþ ase a slat swyn þat hongeþ is eren.*. [Der Sinn ist: die Sitten der Vornehmen müssen sie nachmachen, und dabei ist nicht einmal ihre äussere Kleidung vom Kothe gereinigt. — Die Ver|gleichung eines sitzenden Frauenzimmers mit einem "slat swyn", kann sich nur auf die Stellung des letzteren beziehen, in welcher es sich auf die Vorderfüsse stützt. Aus diesem Vergleiche ist zu schliessen, dass ein "bose" einem modernen "cul de Paris" ähnlich gewesen sein muss, nur dass es (nach v. 22) aus einem Polster in Leinwandüberzug bestand. — Mit den hängenden Ohren des Schweines sind die schweren Ohrgehänge verglichen, auf welche auch v. 21 anspielt. Doch müssen nach v. 29 auch Schmuck|gehänge in Mode gewesen sein, welche an der Kopfbedeckung befestigt waren und neben dem Auge herabhingen.]Page  107
such a ioustynde gyn vch wrecche wol weren,
al hit comeþ in declyn þis gigelotes geren.*. [al hit fasst den Inhalt von "þis gigelotes geren" kollektiv zusammen.]
     25
Vpo lofte
þe deuel may sitte softe,
& holden his halymotes ofte.*. [halymotes, siehe Glossar, von W. durch "sabbaths" übersetzt.]
ȝef þer lyþ a loket by er ouþer eȝe,
þat mot wiþ forse be fet for lac of oþer leȝe.*. [wiþ forse be fet, MS. wiþ worse be wet. Die Lesart der Handschrift ist nicht verständ|lich; die Konjektur würde bedeuten: das muss durchaus angeschafft werden.]
     30
þe bout & þe barbet wyþ frountel shule feȝe;*. [feȝe: Als Objekt ist "hem" zu ergänzen.]
Habbe he a fauce filet, he halt hire hed heȝe,
to shewe
þat heo be kud & knewe
for strompet in rybaudes rewe.
     35