VII. The land of Cokaygne.
Abgedruckt Hickes, Thesaurus I, 231; Ellis, Specimens (1811) I 82; Th. Wright, Altdeutsche Blätter I 396; Furnivall, Early English Poems and Lives of Saints p. 156; Mätzner, Altenglische Sprachproben I 147; vgl. Poeschel, Das Märchen vom Schlaraffenland, Beit. z. Gesch. d. deutschen Spr. u. L. V 389.
Den Inhalt des Gedichtes bildet die weitverbreitete Sage von dem Wunderlande, das in der deutschen Dichtung Schla|raffen- oder Schlauraffenland genannt wird, während es in der französischen Cocaygne, Pays de Cocaygne und entsprechend im Italienischen Cuccagna heißst. Der Name unseres englischen ebenso wie der des mittelniederdeutschen Gedichtes: Van dat edele Lant van Cockaenghen (ed. Altdeutsche Blätter I p. 165) weist somit auf eine französische Quelle. Eine französische Fassung, welche allerdings von der unsrigen stark abweicht, findet sich gedruckt bei Barbazan, Fabliaux et contes, IV 175. Auch die Beziehungen unseres Gedichtes zu dem oben erwähnten mittelniederländischen aus dem 15. Jahrhundert, auf welche Mätzner hinweist, sind nicht sehr eng. Die Quelle ist somit in einer verloren gegangenen französischen Fassung zu suchen. Ob dieselbe allerdings die satirische Schilderung des Klosters enthielt, welche in dem englischen Gedicht einen so breiten Raum einnimmt und welche Mätzner in dem erhaltenen franz. Fabliau vermißt, ist mir mehr als zweifelhaft. Die Kloster|Schilderung ist offenbar der eigentlichen Sage ganz fremd und sieht ganz aus wie die spätere Zutat eines mönchischen Über|arbeiters. Es liegt kein Grund vor, diese Zutat bereits der Page 142 franz. Quelle zuzuschreiben, sondern es ist durchaus denkbar — und gewichtige Anzeichen sprechen dafür — daß wir es hier mit dem ganz persönlichen Eigentum des englischen Dichters oder Umdichters zu tun haben.
Hier scheinen ganz bestimmte lokale Anspielungen vor|zuliegen, denn die mutmaßliche Heimat des Ms. war die Gray Abbey zu Kildare, die Übereinstimmung der Namen ist also ganz auffällig. Will man etwa annehmen, daß jedes beliebige Franziskanerkloster als "Gray Abbey" bezeichnet werden konnte? Bei Archdall finde ich kein anderes Franziskaner|kloster in Irland je mit dem Namen belegt, als gerade dieses eine, für welches er ständig ist. Das einzige Mal, wo er sonst noch auftritt, in The Gray Abbey, County of Down, be|zeichneter ein Cistercienserkloster, das vor der Franziskanerzeit gegründet ist. Ferner ist in unserem Gedichte nicht von Franziskanern allein die Rede, sondern von White monkes, also Karmelitern, neben ihnen. Es ist doch ein auffälliges Zusammentreffen, daß als Kildare's kirchliche Niederlassungen gerade ein von der Heil. Brigid selber gegründetes Nonnen|kloster als Teil der uralten Abtei, ein Karmeliter- und ein Franziskanerkloster historisch sicher überliefert sind, während das Gedicht von einer Nunnerie und einem beide Mönchsorden vereinigenden Kloster spricht.
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß ein in Kildare heimischer Dichter lokale Züge in das Märchen vom Schlaraffen|land verwoben hat, zumal die derbe Satire, mit welcher das Klosterleben geschildert wird, auch anderen Teilen des Ms. nicht fremd ist. Sie findet sich ebenso in der sogenannten Satire auf die Leute von Kildare, sie prägt sich vielleicht noch schärfer aus in einigen der lat. Stücke, wie "The Abbot Page 143 of Gloucester's feast", die "Missa potatorum", die "Passio unius monachi", welche ganz artige Proben echter Goliardenlaune enthalten.
Für die selbständige Umarbeitung des überkommenen Stoffes spricht auch der Umstand, daß manche charakteristische Züge der Sage unsrem Gedichte fehlen, z. B. das Jungbaden, welches schon in dem afrz. Fabliau auftritt und noch bei Hans Sachs wiederkehrt. Andrerseits ist der Schluß des englischen Gedichtes, daß man 7 Jahre lang in Schweinemist waten müsse, um in das gelobte Land zu kommen, der eigentlichen Sage ganz fremd. Haupt weist Altdeutsche Blätter I 401 darauf hin, daß diese Bedingungen denjenigen ähneln, unter welchen das deutsche Märchen den Bärenhäuter zu Reichtum und Glück kommen läßt. Beachtenswert ist, daß sich unter den afranz. Stücken des etwa gleichzeitigen Ms. Harl. 2253 die satirische Schilderung eines Mönchsorden findet, den der Dichter die charakteristischen Fehler aller zeitgenössischen Orden in sich vereinigen läßt. Der erste und wichtigste Punkt ist, daß die imaginäre neue Stiftung, vom Dichter L'ordre de Bel-Eyse genannt, Mönche und Nonnen unter einem Dache zusammen|leben läßt, wie es in der Abtei von Sempringham der Fall war; das Treiben der Mönche wird dann in einer Weise ge|schildert, welche vielfach an das Land of Cokaygne erinnert. Die wenig beachtete phantastische Dichtung ist gedruckt von Wright: Political Songs (Camden Soc. 1839), p. 137. —
Schreibung und Reim unseres englischen Gedichtes weisen fremde Elemente nicht auf; dagegen findet sich ein anglo|irisches Wort keltischen Ursprungs (russin) und eine genau in derselben Form in Sat. wiederkehrende Ausdrucksweise (-la, god it wot). Ich trage daher kein Bedenken, in dem Gedicht, in welchem Schreibung und Reim sich decken, ein echt anglo-irisches, wahrscheinlich in Kildare selber entstandenes Denkmal zu sehen. —
Das sehr glücklich gewählte Versmaß zeigt paarweise gereimte Kurzzeilen von 4 Takten mit vorwiegend trochäischem Rhythmus, wie auch das franz. Fabliau in kurzen Reimpaaren abgefaßt ist. Den frisch und flott hinfließenden Versen ent|spricht die muntere, knappe Art der Schilderung, welche den Ton der Sage vortrefflich trifft. Die moralische und didak|tische Tendenz, welche in späteren kontinentalen Versionen Page 144 zu Tage tritt, fehlt ganz, aber von der naiven Freude am Komisch-Wunderbaren, welche diesen Märchenstoff seit seinem ersten Auftauchen in der indischen Sage und der griechischen Dichtung kennzeichnet, ist ein gutes Stück vorhanden. Selbst die übermütige Satire auf Mönche und Nonnen, die erst der englische Dichter hineingeflochten hat, wirkt in dieser Um|gebung von erdachten Wunderbarkeiten und ergötzlichen Un|möglichkeiten weniger abstoßend. Sie ist jedenfalls bezeichnend für das Milieu, in dem der Verfasser lebte und wirkte und das ihn auch beim Dichten nicht losließ. Er war wohl ein Mitglied des geistlichen Standes, ein Goliarde oder fahrender Schüler, der mit kühnem Sprunge seinen eigenen Interessenkreis und zugleich den der Zuhörer in den heiteren Märchenstoff hinein|trug, so wenig er dort auch hineingehörte. Man bedenke, daß von 190 Versen nur 50 auf den überlieferten Stoff entfallen und der ganze Rest, also fast dreimal soviel, der Schilderung des Klosterlebens gewidmet wird. Direkt im Anschluß an die ausgemalten Genüsse desselben wünscht der Dichter seinen Zuhörern, daß auch sie in dies gelobte Land kommen möchten, die auferlegte Bedingung wird als penance bezeichnet, das Ganze mit: Amcn pur seint charite geschlossen. Das sieht nicht aus wie der Vortrag eines Spielmanns. Für einen Spiel|mann scheinen mir auch die bei der Aufzählung der Gewürze und der edlen Steine gebrauchten Wörter reichlich gelehrt. Zwar werden die Zuhörer scherzhaft mit Lordinges angeredet, doch von einem Spielmann, der vor edlen Herren vom Schlaraffen|land sang, hätte man selbst in dem klösterreichen Kildare etwas anderes verlangt, als die Ausnutzung von Gegenstand und Gelegenheit zu einer Satire gegen das Mönchswesen. Diese Satire aber, die der Spielmannsdichtung ferner lag, war der immer wiederkehrende Gegenstand der Goliardendichtung im 14. Jahrhundert und steht, wie oben bemerkt, in enger Beziehung zu anderen Stücken unseres Ms., deren Herkunft nicht zweifel|haft sein kann. Es scheint mir nicht nötig anzunehmen, daß das Gedicht tatsächliche Übelstände wiederspiegelte und geißeln wollte. Unser Ms. fällt noch in die aufsteigende Linie der Franziskanerbewegung und nicht in den Niedergang, der sich im Laufe des 14. Jahrhunderts vollzog. Ich kann die Ein|leitung nicht besser schließen als mit der Bemerkung Dr. Furnivall's (E. E. P. Preface IV), der das Gedicht Page 145 bezeichnet als: the airiest and cleverest piece of satire in the whole range of Early English, if not of English, poetry. Die Worte mögen zu weit gehen in ihrer Wertschätzung, aber sie sind bezeichnend dafür, in welchem Sinne man die muntere Fabulistik des Verfassers betrachten muß und wie sie in seiner eigenen derben Zeit vermutlich anch betrachtet worden ist.